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Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht

Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht

Titel: Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyson Noël
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alles in einer unendlichen Gegenwart geschieht, verliert man jegliches Zeitgefühl.
    Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass meine Lippen wund und geschwollen und meine Wangen von den Bartstoppeln an Damens Kinn gerötet und gereizt sind – doch das müsste sich binnen Sekunden legen.
    Weitaus schneller als Sabines Ärger auf der Erdebene über meine lange Abwesenheit.
    Weitaus schneller als Havens triumphierendes Grinsen bei dem Gedanken, sie hätte es geschafft, mich umzubringen.
    Und obwohl ich eigentlich nach Hause gehen und mich diesen beiden Dingen stellen müsste, entferne ich mich nur widerwillig von hier, gebe die Magie nur ungern so schnell auf. Und da Damen es ganz offensichtlich auch nicht eilig hat, manifestiert er einen weißen Hengst für uns, auf dem wir reiten können, und lässt das Pferd nach eigenem Gutdünken herumtraben, während wir die Landschaft genießen.
    Ich lege das Kinn auf Damens Schulter und schlinge meine Arme um seine Taille, während wir neben munter plätschernden Bächen, auf menschenleeren Straßen, über
riesige Wiesen mit zwitschernden Vögeln und herrlich duftenden Blumen, einen steilen, kurvenreichen Gebirgspfad mit wundervoller Aussicht hinauf- und auf der anderen Seite wieder hinunterreiten und schließlich in einer kahlen Sandwüste landen.
    Wir reiten sogar durch die Straßen all unserer früheren Leben, da Damen Kopien von Paris, Neuengland, London, Amsterdam und selbst der Südstaaten vor dem Krieg manifestiert. Er geht sogar so weit, dass er mir einen kurzen Blick in sein früheres Leben in Florenz gestattet. Er zeigt mir das kleine Haus, in dem er gelebt hat, die Werkstatt seines Vaters weiter hinten in der Gasse und die Marktstände, an denen seine Mutter einkaufte.
    Er beschwört flüchtige Bilder seiner Eltern herauf, seelenlose Formen, die mal scharf, mal unscharf vor uns wabern. Natürlich weiß er, dass ich sie schon einmal gesehen habe, damals, als ich in den Großen Hallen des Wissens sein Leben ausspioniert habe, doch er will, dass ich sie so sehe, wie er sie sieht, denn er will sein Leben bis ins Letzte mit mir teilen, bis es keine Geheimnisse mehr zwischen uns gibt – bis sich alles passgenau ineinanderfügt und die Geschichte unserer Leben komplett ist.
    Und weil ich mich ihm näher fühle als je zuvor, weil ich sicher weiß, dass wir zusammengehören, was auch immer geschieht, will ich ihm etwas zeigen, was ich ihm bisher vorenthalten habe.
    Ich schließe die Augen und dränge unser Pferd, uns an jenen Ort zu bringen – die dunkle Seite von Sommerland, die Seite, die ich versteckt gehalten, verschwiegen habe. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht recht erklären kann, bin ich davon überzeugt, dass jetzt der richtige Moment ist, ihm das zu zeigen.

    Das Pferd folgt meiner Weisung sofort und wechselt augenblicklich die Richtung, während ich die Lippen auf Damens Ohr presse und sage: »Es gibt da etwas, was ich dir verschwiegen habe – etwas, was ich dir zeigen will.«
    Er dreht sich um und sieht mich über die Schulter an, aber sein Lächeln schwindet und macht einer besorgten Miene Platz, als er meinen ernsten Blick sieht.
    Doch ich nicke nur und dränge das Pferd voran, da wir jetzt allmählich näher kommen, als es auf einmal seinen Schritt verlangsamt und ich es zum Weitergehen antreiben muss. Plötzlich verändert sich die Luft, der Himmel verdunkelt sich, der Nebel wird dichter und das, was einst ein blühender, lebender Wald aus üppig gedeihenden Pflanzen und Blumen war, wird zu einem regendurchweichten, matschigen Sumpf.
    Unser Pferd bleibt stehen, schlägt mit dem Schweif hin und her, wirft protestierend den Kopf in den Nacken und weigert sich weiterzugehen. Da ich weiß, dass es sinnlos ist, den Hengst zu zwingen, rutsche ich von seinem Rücken und bedeute Damen, es mir nachzutun.
    Er sieht mich fragend an. »Ich habe diesen Ort vor einer Weile gefunden«, erkläre ich, »damals, als ich mit Jude im Sommerland war und dir begegnet bin. Seltsam, nicht wahr?«
    Er blinzelt und betrachtet den matschigen Boden und die verkümmerten Bäume. Ihre Zweige sind spröde und grau und bar aller Blätter; es fehlt jegliches Zeichen für Leben, trotz des endlos fallenden Regens.
    »Was ist das?«, fragt er und sieht sich um.
    »Ich weiß es nicht.« Achselzuckend schüttele ich den Kopf. »Als ich letztes Mal hier war, bin ich irgendwie zufällig darauf gestoßen. Ich meine, wahrscheinlich war es
kein wirklicher Zufall, da es hier keine Zufälle

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