Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
begann zu weinen. Dann kam ich mir so albern vor, weil ich dastand und wegen meiner Trennung heulte, während mir die tote Courtney zu Füßen lag, aber ihr Anblick ließ mich nur noch heftiger schluchzen.
Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als Balthazar mit dem Wagen vorfuhr, auch wenn es tatsächlich kaum zehn Minuten gedauert hatte. Er sah meine Tränen und sagte: »Ist wohl nicht sehr gut ausgegangen.« Ich schüttelte den Kopf. »Schon gut, Bianca. Setz dich ins Auto. Ich kümmere mich um Courtney.«
Balthazar rollte Courtneys Leiche in eine alte Decke, die er im Kofferraum gefunden haben musste, und dorthin legte er das Bündel auch wieder zurück. Ich sah ihm nicht dabei zu; ich saß auf dem Beifahrersitz und schniefte vor mich hin. Als Balthazar fertig war und den Kofferraum verschlossen hatte, war mein heftigstes Schluchzen versiegt. Noch immer liefen mir die Tränen über die Wangen, aber innerlich fühlte ich mich ganz taub.
Balthazar stieg zu mir in den Wagen, und ich flüsterte: »Was machen wir denn jetzt?«
»Wir müssen irgendwohin rausfahren und ein Feuer machen.« Er warf mir einen unsicheren Blick zu. »Lucas hatte ganz recht mit dem gefrorenen Boden.«
»Oh. Okay.«
Balthazar startete den Motor. Ich warf einen Blick zurück zum Haus, in dem Courtneys Familie noch immer mit den Geburtstagsfeierlichkeiten beschäftigt war. Als wir wegfuhren, konnte ich ihre Umrisse in den Fenstern erkennen.
Sie tanzten.
18
»Na, Gott sei Dank, endlich lässt sich der Frühling blicken«, sagte Raquel und öffnete das Fenster, um die laue Luft hereinzulassen. »Wenn ich noch einen einzigen Morgen aufgewacht wäre und Eiszapfen gesehen hätte, dann, das schwöre ich dir, hätte ich jemanden damit aufgespießt.«
»Könntest du bitte aufhören, von Aufspießen zu sprechen?« Ich lag zusammengerollt in meinem Bett, trug denselben Schlafanzug, den ich schon das ganze Wochenende angehabt hatte, und blätterte Raquels alte Zeitschriften durch. Es machte nicht sonderlich viel Spaß, irgendetwas darin zu lesen, denn mittlerweile hatte sie so ziemlich alle Bilder für ihre Kunstprojekte verwendet. Aber eigentlich konnte ich mich sowieso auf nichts konzentrieren.
Raquel drückte das Magazin in meinen Händen runter, sodass wir uns Auge in Auge gegenübersaßen. »Erinnerst du dich an den Anfang dieses Jahres«, fragte sie leiser als vorher, »als ich mich hier im Zimmer vergraben habe und du diejenige warst, die mich da rausgerissen hat? Lass uns den Spieß umdrehen.«
»Ich muss aus nichts rausgerissen werden.«
»Bianca, also ehrlich. Du warst schon den ganzen letzten Monat lang nur noch eine Art Zombie.«
Eine Art Vampir, kein Zombie , dachte ich und musste kurz lächeln. »Ich brauche einfach ein bisschen Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen, okay?«
»Ein paar Tage, klar. Auch ein paar Wochen. Aber so? Das geht jetzt schon fast einen Monat. Selbst dein Kopf sollte inzwischen wieder klar sein.« Raquel stand auf und riss meine Decke vom Bett. »Aufstehen. Unter die Dusche. Du stinkst wie ein Puma.«
»Ich habe mich doch nur einen Tag lang nicht gewaschen«, grummelte ich.
»Mir ist es gleich, wie lange es gedauert hat, bis dieser Mief in unser Zimmer eingezogen ist. Ich weiß nur, dass es in meinem Zimmer mieft und dass das aufhören muss.«
Ich glaubte eigentlich kaum, dass ich wirklich schlecht roch, aber Raquel war einfach verzweifelt bemüht, mich irgendwie in Bewegung zu bringen. Also bewegte ich mich gehorsam und duschte. Als ich zurückkam, hatte Raquel mein Bett gemacht, und das, obwohl sie ihr eigenes Bettzeug so gut wie nie zusammenlegte. Die Zeitschriften hatte sie weggepackt. »Ich habe einen Thunfischsalat gemacht«, sagte sie. »Vielleicht können wir ja mittags ein Picknick auf dem Schulgelände veranstalten. Ich glaube, ich frage Balthazar, Vic und Ranulf. Was meinst du dazu?«
»Du willst ein Picknick machen?« Sie zuckte mit den Schultern, und ich sagte: »Was ist los? Du bist gar nicht mehr du selbst.«
»Du doch auch nicht«, schoss Raquel zurück. »Und bis die Dinge wieder in normalen Bahnen verlaufen, werde ich diejenige sein, die für Unterhaltung sorgt. Ich hasse es, für Unterhaltung sorgen zu müssen. Könntest du also bitte möglichst schnell ins Leben zurückkehren und mit zum Picknick kommen?«
»In Ordnung.« Ich würde sowieso etwas essen müssen. Auch wenn Blut einen immer größeren Teil meines Speiseplans ausmachte, brauchte ich nach wie vor
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