Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
heute«, antwortete ich. »Ich habe Balthazar versprochen, ihm bei einem Schulprojekt zu helfen.«
»Okay«, antwortete Raquel. »Aber wir müssen das bald nachholen.«
Ich erinnerte mich daran, wie sterbenslangweilig sie Astronomie fand, und wollte sie umarmen, weil sie sich solche Mühe mit mir gab.
Das »Schulprojekt« bestand genau genommen darin, Videospiele zu spielen. Für mich war es das reinste Vergnügen, aber Balthazar tat sich im Fach Moderne Technologien immer noch schwer. »Eigentlich solltest du das viel besser können«, sagte ich, als meine Kriegerin Balthazars Kämpfer auf dem Bildschirm ungefähr zum zwölften Mal niedermetzelte. »Du hast doch schon in einigen Kriegen gekämpft, oder?«
»In mehr als genug.« Mit finsterer Miene starrte Balthazar auf die Tastatur. »Mir kommt es nur sehr komisch vor, mir eine Schlacht als ein Spiel vorzustellen.«
»Dann vergleiche es doch mit dem Fechten«, schlug ich vor. »Man übt einfach die richtigen Bewegungen ein. Spielt eine Rolle.«
»Das kann ich mal versuchen.« Er grinste und lehnte sich auf dem Sofa zurück, das im Unterrichtsraum für Moderne Technologien stand. Ich war sehr stolz auf mich. Dann veränderte sich sein Lächeln und wurde irgendwie weicher und intensiver. »Bianca, warum machen wir das immer noch?«
»Was machen wir denn?«
»Wir hängen die ganze Zeit zusammen rum. Machen unseren Freunden was vor.« Er suchte meinen Blick. »Tun noch so, als wären wir ein Paar.«
»Na ja, weil …« Mir wurde klar, dass ich mir diese Frage noch nie gestellt hatte. Ich starrte auf den Fußboden und versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Du suchst doch immer noch nach Charity. Das bedeutet, du brauchst einen Vorwand, um den Campus zu verlassen.«
»Ich brauche keinen Vorwand dafür. Ich kann kommen und gehen, wie es mir passt. Ich brauche das hier nicht, was auch immer das zwischen uns ist.«
»Wir könnten damit aufhören, wenn es das ist, was du willst.«
»Will ich eigentlich nicht«, sagte Balthazar leise.
»Ich glaube … Ich glaube, ich gehe mal einen Schluck Blut trinken.« Ungeschickt stand ich auf und ging zur Ecke, in der sich eine Küchenzeile aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert befand. Etliche Vampire bewahrten im Kühlschrank ein bisschen Blut als Zwischenmahlzeit in den Pausen auf, weil das der einzige Klassenraum war, in dem die menschlichen Schüler keinen Unterricht hatten. Ich hatte das Gefühl, ein ordentlicher Schluck Blut zur Stärkung würde gerade ganz gut für mich sein.
Ich konnte schlecht so tun, als wäre mir nicht klar, worüber Balthazar gesprochen hatte, oder als hätte er mich mit seiner Frage überrascht. Lucas und ich waren … Wir waren nicht mehr zusammen, und es schien vollkommen ausgeschlossen, dass sich an diesem Zustand noch mal etwas ändern würde. Balthazar hatte mir Zeit gelassen, die Trennung zu verarbeiten, und nun wollte er wissen, ob die Dinge zwischen uns auch anders liegen könnten.
Ich hatte mir immer eingeredet, dass Balthazar nur ein Freund für mich war. Ich wusste, dass ich ihn nicht so liebte, wie ich Lucas noch immer liebte; eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich überhaupt noch mal jemanden aus ganzem Herzen würde lieben können.
Und ich wusste auch, dass ich in diesem Jahr angefangen hatte, mich auf Balthazar zu verlassen. Ihm zu vertrauen. Auch hatte ich nie so getan, als ob ich ihn nicht sehr attraktiv fände, was wohl auch wenig glaubhaft gewesen wäre. Aber nein, ich empfand Balthazar gegenüber nichts, was auch nur annähernd an die Leidenschaft herankam, die Lucas in mir entfacht hatte, und zwar jedes einzelne Mal, wenn wir uns gesehen hatten. Auf der anderen Seite: Wenn ich Balthazar eine Chance gäbe …
Ich dachte daran, wie mich Lucas unter den Sternen im Observatorium geküsst hatte, und die Sehnsucht nach ihm war mit einem Mal so groß, dass es wehtat. Die Erinnerungen überwältigten mich genau in dem Augenblick, in dem ich mir ein Glas aus dem Schrank nahm, und abgelenkt, wie ich war, ließ ich es fallen. Mit einem Klirren zersprang es, und ein Splitter bohrte sich in meine Hand.
»Aua«, jammerte ich und zog das Glasstückchen aus meinem blutenden Finger.
Sofort war Balthazar an meiner Seite. »O je. Aber es sieht nicht so schlimm aus.« Rasch sammelte er die Reste des Glases vom Fußboden auf und warf sie in den Abfalleimer.
»Nein, ich brauche nur ein Pflaster.« Dann dachte ich: Warte .
Wir standen so nahe beieinander, dass sich
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