Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
Fensterrand zu spähen, um zu sehen, was vor sich ging, aber es klang im Grunde so, als ob Charity die Akademie als Schülerin besuchen wollte und als wäre Evernight dazu verpflichtet, sie aufzunehmen. Aber es gefiel der Lehrerschaft überhaupt nicht.
Mr. Yee sagte: »Wir haben hier ein gewisses Problem mit einem Geist.«
»Wegen des kleinen Babys. Aber darum wird man sich doch schon bald kümmern, oder? Auf die eine oder die andere Weise.« Charity war es offenbar völlig gleichgültig, ob ich lebte oder nicht - ein Gefühl, das rasch auf Gegenseitigkeit zu beruhen begann.
Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme meiner Mutter vernahm. »Es gibt hier jetzt auch menschliche Schüler, und wir müssen dafür sorgen, dass ihnen nichts geschieht. Ihre Schülerakte, Miss More, gibt uns in dieser Hinsicht sehr zu denken.«
»Ich schwöre«, sagte Charity so ernst und so liebenswert wie ein Kind, »ich schwöre bei meinem eigenen Grab, dass nicht ich diejenige sein werde, die den Frieden in der Evernight-Akademie bricht.«
Nach einem Moment der Stille sagte Mrs. Bethany: »Nun gut. Wie lange haben Sie denn vor, bei uns zu bleiben?«
»Nicht lange. Versprochen. Ich werde noch vor Juni wieder verschwunden sein.«
»Dann werden wir für Sie einen Platz in den Wohnungen der Lehrer finden. Sie sollten sich dort bis zum Ende des Semesters so häufig wie möglich aufhalten. Es dürfte schwer sein, eine Erklärung dafür zu finden, dass so spät im Schuljahr noch eine Schülerin zu uns stößt, und je weniger Fragen aufkommen, desto besser ist es«, erklärte Mrs. Bethany. »Wir sollten die neuen Regeln hinsichtlich des Blutkonsums durchsprechen, die angesichts der neuen Aufnahmepolitik nötig geworden sind.«
»He.« Das Flüstern ertönte nahe an meinem Ohr, und ich fuhr entsetzt zusammen. Doch dann stieß ich erleichtert die Luft aus, als ich sah, dass es Balthazar war. »Was ist denn da drinnen los?«
»Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt.« Gemeinsam traten wir ein Stück vom Gebäude weg. »Wieso schleichst du dich denn so an mich heran?«
»Ich habe mich nicht an dich herangeschlichen. Ich habe mich an das Kutschhaus angeschlichen, aber du warst ja schon vor mir da und hast für mich spioniert.«
Ich lächelte über seine letzte Bemerkung. Erst dann fiel mir auf, dass wir wieder miteinander sprachen, und es war nicht annähernd so komisch und steif, wie ich befürchtet hatte. Vielleicht lag das auch einfach nur daran, dass Balthazar so auf das Kutschhaus fixiert war. Seine Augen ruhten darauf, als ob er über einen Röntgenblick verfügte und seine Schwester durch die Wand sehen könnte.
»Sie erlauben ihr, hierzubleiben«, berichtete ich. »Sie muss sich aber im Turm verstecken, damit niemand fragt, warum wir so kurz vor den Abschlussprüfungen einen Neuzugang haben. Mrs. Bethany hasst das, aber offenbar hattest du recht, was die Sache mit der Zuflucht angeht.«
»Zuflucht.« Sein Gesicht leuchtete voller Hoffnung auf. »Zuflucht bedeutet, dass sie vor jemandem davonläuft. Es muss heißen, dass sie von dem Clan weg will. Sie hat sich von ihm abgewendet.«
»Vielleicht.«
»So muss es sein.«
Er wollte so gerne an sie glauben. Ich vertraute Charity nicht weiter, als ich sie werfen konnte, aber ich schwieg. Um Balthazars willen hoffte ich, dass sich Charity eine Weile benehmen würde, sodass er sie wenigstens würde besuchen können. »Wirst du reingehen, um sie willkommen zu heißen?«
»Mrs. Bethany würde nicht wollen, dass ich da hineinplatze. Ich werde Charity später sehen.« Zaghaft legte er mir eine Hand auf die Schulter. »War mit dir alles in Ordnung in letzter Zeit?«
»Ja.« Ich konnte mit ihm weder meine großen Enttäuschungen noch die Aufregung in Anbetracht der bevorstehenden Flucht teilen. Ich konnte nur zurückfragen: »Und wie sieht es bei dir aus?«
»Jetzt wird alles gut«, sagte er und grinste.
»Vielleicht.« Dann dachte ich an Lucas und erwiderte Balthazars Lächeln. »Vielleicht geht für uns beide alles gut aus.«
Als wir uns am nächsten Tag alle auf dem Gang trafen, sagte Vic: »Kommt es nur mir so vor, oder ist die Zeit irgendwie stehen geblieben? Es scheint mir, als ob der Sommer immer weiter wegrückt, anstatt näher zu kommen.«
»Ich weiß, was du meinst«, erwiderte ich. »Wohin fährt denn deine Familie in diesem Jahr?«
»So, wie es aussieht, mieten wir eine Villa in der Toskana«, antwortete Vic in der Art von gepflegter Langeweile, mit der nur die
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