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Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Titel: Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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dir.« Und erst mit einiger Verspätung erinnerte ich mich daran, dass ich ebenfalls ein Geheimnis hatte. »Und du auch nicht, okay?«
    Er sagte weder ja noch nein, aber ich wusste, er würde niemandem gegenüber erwähnen, was er in dieser Nacht alles erfahren hatte. Lange Zeit sah ich ihm nach und war vor Erstaunen und plötzlich nachlassender Furcht zu betäubt, als dass ich einen klaren Gedanken hätte fassen können. Dann holte ich tief Luft und rannte zurück zur Schule, während ich darüber nachsann, was ich Raquel von einem Meteoritenschauer erzählen sollte, den ich überhaupt nicht beobachtet hatte.
     
    Raquel kaufte mir meine Geschichte unbesehen ab. Sie stellte auch kaum Fragen, was einerseits eine Erleichterung, gleichzeitig aber auch aus irgendeinem Grund enttäuschend war. Ich war schon drauf und dran zu glauben, dass ich mit meiner Lüge durchgekommen wäre, als mich Mom beim Sonntagsessen so nebenbei fragte, wo ich denn am Samstagnachmittag gewesen sei, sie hätten nach mir gesucht. Ich platzte mit der erstbesten Entschuldigung heraus, die mir einfiel und die, wenn auch nur entfernt, etwas mit der Wahrheit zu tun hatte.
    Leider stellte sich heraus, dass ich kaum auf etwas Dümmeres hätte kommen können, denn meine Eltern schnappten schier über vor Begeisterung.
    »Du warst mit Balthazar im Wald spazieren?« Dad machte eine Show aus seinen Fragen, was Mom zum Lachen brachte. Er kramte seinen lang eingebüßten englischen Sherlock-Holmes-Akzent hervor, um den komischen Effekt noch zu verstärken. »Nun, was könnte es geben, worüber eine junge Dame bis in die späten Abendstunden hinein mit Balthazar More sprechen könnte?«
    »Bis in die späten Abendstunden hinein waren wir nun auch wieder nicht unterwegs.« Ich strich Butter auf ein Brötchen und tat mir voller Appetit von dem Essen auf, das meine Eltern für mich vorbereitet hatten. Das Blut war beinahe noch heißer ersehnt als die übrige Mahlzeit, denn schließlich hatte ich das halbe Wochenende ohne auskommen müssen, und so trank ich Glas um Glas. »Es ist privat, okay? Bitte fragt ihn nicht danach.«
    »Schon gut«, sagte meine Mutter beruhigend. »Es ist nur gut, dich wieder zu Hause zu haben.«
    Als ich den Blick von meinem Teller hob und Mom und Dad ansah, lächelten sie mich beide so warm, so dankbar an, dass ich mich nur mühsam davon abhalten konnte, sie in den Arm zu nehmen und mich dafür zu entschuldigen, dass ich es über mich gebracht hatte, sie anzulügen. Aber ich blieb sitzen. Allein der Gedanke an Lucas reichte aus, mir wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass manche Geheimnisse es wert waren, bewahrt zu bleiben.
    Schon in wenigen Wochen würde ich Lucas wiedersehen. Meine alten Erinnerungen an Lucas waren bereits ganz fadenscheinig geworden, so häufig hatte ich mich in sie hineingedacht. Nun hatte ich neue, und zum ersten Mal waren Küsse und Lachen darunter, und es kam mir vor, als würde ich mich immer wieder neu verlieben. In den nächsten Wochen würde ich auf Wolke sieben schweben.
    Eine Frage jedoch blieb drohend über mir hängen wie dunkle, schreckliche Gewitterwolken: Würde Balthazar melden, was er herausgefunden hatte? Ich wusste, er wollte, dass niemand etwas von Charity erfuhr, aber Mrs. Bethany musste sie aus der Zeit kennen, als sie die Evernight-Akademie besucht hatte. Wie geheim konnte seine Schwester also schon sein? Wenn ich dann noch dazurechnete, wie sehr Balthazar Lucas hasste, dann war ich mir nicht mehr so sicher, wie lange unser Schweigepakt Gültigkeit haben würde.
    Jeden Tag suchte ich in Balthazars Gesicht nach Antworten: in Englisch, während Mrs. Bethany über Macbeth’ Motive sprach; beim Fechten, als er sich mit dem Professor duellierte, um uns anderen zu zeigen, wie man es richtig machte; und auch auf den Gängen, wenn wir aneinander vorbeiliefen. Er selbst erwiderte meine Blicke nie. Er schien überhaupt niemanden mehr anzusehen. Der Junge, der immer als erster Hallo gesagt hatte und immer so eifrig dabei gewesen war, anderen die Tür aufzuhalten, war nun dazu übergegangen, mit unsicheren Schritten und leeren Augen wie ein Blinder durch die Gänge zu schleichen.
    »Möchte wissen, was dieser Typ eingeworfen hat«, sagte Vic eines Tages, als wir in der Großen Halle an Balthazar vorbeikamen.
    »Ich glaube nicht, dass er irgendetwas geschluckt hat.«
    »Ich meinte es ja auch nicht wortwörtlich. Wenn er tatsächlich was genommen hätte, hätte er vermutlich mehr Spaß, oder?« Vic zuckte

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