Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
zusammen und krümmte sich in Krämpfen; der Geist schien seinen ganzen Körper zu umkreisen, ihm Schmerzen zu bereiten, eine sich windende Masse, die über alle Gliedmaßen raste und Samuels Gesicht überzog bei dem Versuch, sich wieder zu lösen, was aber unmöglich war.
»Was zur Hölle ist das?« Lucas sprang auf und suchte offensichtlich nach einer Möglichkeit, Samuel zu Hilfe zu kommen. Aber Mrs. Bethany schüttelte den Kopf.
Fasziniert sah ich zu, wie Mrs. Bethany ein langes Messer mit schwarzer Klinge hervorzog – Obsidian, vermutete ich. Trotz der schützenden Hausmauern schien mich der Obsidian abzustoßen.
Vollkommen unvermittelt rammte Mrs. Bethany die Klinge nach unten durch den Geist hindurch in Samuels Körper hinein. Silbernes Blut mischte sich mit rotem, beide Wesen kreischten auf, und der Geist versank mit einem Mal in Samuel. Anscheinend wurde er von ihm aufgesogen. Samuel zuckte noch einen Moment, dann holte er tief Luft. Und noch einmal. Er stützte sich auf seine Ellenbogen und starrte auf die blutende Wunde an seinem Arm. Das Blut quoll in Stößen hervor.
In Stößen.
Er hat einen Puls , begriff ich. Einen Herzschlag .
Samuel starrte zu Mrs. Bethany empor, und das Entsetzen hatte ihn verstummen lassen. Sein Blick war wirr und zugleich leer. Die Schulleiterin richtete sich kerzengerade auf, nahm ihre Schultern zurück und lächelte so strahlend, dass sie einen Augenblick lang viel jünger aussah. Schöner. Schrecklicher. Lucas machte einen zögernden Schritt zurück, dann ließ er sich schwer auf einen Stuhl fallen, als wäre die einzige Alternative, zu Boden zu stürzen.
»Es funktioniert«, flüsterte Mrs. Bethany.
»Ich bin …« Samuel klopfte sich von oben bis unten ab; nur so schien er begreifen zu können. »O Gott. Ich bin wieder menschlich.«
Mein Geist wurde leer, als ob dort, wo sich sonst die Gedanken überschlagen hätten, plötzlich nichts als weißes Licht und statisches Rauschen wäre. Was ich da gerade gesehen hatte, war unmöglich. Und doch war ich mit eigenen Augen Zeugin geworden.
»Machen Sie, dass das aufhört. Machen Sie sofort, dass das aufhört.« Samuel zerrte am Pullover seiner Schuluniform, als versuchte er, seine eigene Brust zu öffnen, um sein schlagendes Herz herauszureißen.
Lucas machte einige Male den Mund auf und schloss ihn wieder, ehe er hervorbrachte: »Was … Was haben Sie getan?«
»Der Geist und der Vampir repräsentieren zwei Hälften des Todes, Mr. Ross.« Mrs. Bethanys Stimme war wieder scharf und förmlich, aber das leuchtende Glänzen in ihren Augen war nicht erloschen. Sie machte einen Schritt auf Samuel zu, der sich inzwischen auf dem Boden wand. Sein lebendiger Körper, so schien es, war ihm unerträglich. »Und doch stehen sie auch für die zwei Hälften des Lebens. Das Fleisch und der Geist. Vereine die beiden Hälften wieder, und das Ergebnis ist … die Wiederauferstehung.«
»So etwas habe ich noch nie gehört«, flüsterte Lucas. »Das hat uns das Schwarze Kreuz nicht erzählt.«
»Und doch gehören dessen Mitglieder zu den wenigen, die davon Kenntnis haben. Ich habe entsprechende Aufzeichnungen in den Dokumenten entdeckt, die ich dem Schwarzen Kreuz gestohlen habe.« Mrs. Bethany beugte sich über Samuel. Seine Qualen schmälerten ihre Freude nicht im Geringsten.
»Warum haben sie dieses Wissen nicht verbreitet? Man sollte doch meinen, alles, was dazu führt, dass es weniger Vampire gibt, würde ihnen gelegen kommen. Aber nein … Das Schwarze Kreuz wollte nicht nur Schutz für die Menschen. Es wollte auch Rache. Und was für eine Rache wäre das, wenn sie den Vampiren einfach ein neues menschliches Leben verschafften?«
»Machen Sie, dass es aufhört«, wiederholte Samuel. Seine Stimme war mittlerweile krächzend und dünn, sodass sie kaum mehr zu verstehen war. Es war, als hätte ihn die Tatsache, dass er nun wieder am Leben war, um den Verstand gebracht.
Lucas stellte sich neben Samuel, aber er wusste auch nicht mehr als ich, wie er ihm helfen könnte. Er sagte: »Das kann nicht wahr sein.«
»Fühlen Sie seinen Puls!« Mrs. Bethany griff nach Samuels Handgelenk; der wimmerte, leistete aber keinen Widerstand. Als sie seinen Arm wieder losließ, rang sie sichtlich um Fassung. »Verzeihen Sie mir. Ich kenne die theoretischen Grundlagen seit beinahe vier Jahren, aber dies ist mein erster erfolgreicher Test.«
Bei diesen Worten hob Lucas den Kopf, und langsam schien ihm alles klar zu werden. »Bianca«, sagte er, und
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