Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Krieger, der sich auf eine Schlacht vorbereitet.
Alles wird gut werden, Lucas , dachte ich, und ich wünschte mir so sehr, dass er mich auch jenseits der Grenze hören konnte, die diese Welt von der nächsten trennte. War er nicht gerade dabei, diese Linie zu überschreiten, um zu mir zurückzukommen? Vielleicht also waren wir bereits nahe genug beieinander, dass er mich hören konnte. Wir mögen tot sein, aber wir können noch immer vereint sein. Und das ist alles, was zählt. Wir sind stärker als der Tod. Nichts kann nun noch zwischen uns treten. Du und ich, wir werden niemals mehr ohne den anderen sein müssen.
Ich wollte, dass er daran glaubte. Und mehr als alles andere wollte ich selbst daran glauben.
Lucas’ Hand zuckte.
Ich sog die Luft ein – ein Reflex des Körpers, den ich übernommen hatte; eine Erinnerung an das, was der Schock bei einem menschlichen Wesen bewirkt.
»Mach dich bereit«, sagte Balthazar. Er redete mit Ranulf, nicht mit mir.
Bebend legte ich eine Hand auf Lucas’ Brust. Erst da bemerkte ich, dass ich unbewusst auf einen Herzschlag wartete. Aber sein Herz würde nie wieder pochen.
Einer von Lucas’ Füßen regte sich kaum merklich, und sein Kopf wandte sich einige Zentimeter zur Seite.
»Lucas?«, flüsterte ich. Er musste wissen, dass er nicht allein war, ehe er irgendetwas anderes begriff. »Kannst du mich hören? Ich bin es, Bianca. Ich warte auf dich.«
Er bewegte sich nicht.
»Ich liebe dich so.« Ich wollte so gerne weinen, aber mein geisterhafter Körper kannte keine Tränen. »Bitte komm zu mir zurück. Bitte.«
Die Finger seiner rechten Hand versteiften sich, die Muskeln wurden hart, dann krümmten sich die Finger zur Handfläche hin.
»Lucas, kannst du …«
»Nein!« Lucas rappelte sich vom Boden auf und kroch auf allen vieren von mir fort. Seine Augen hatten einen wilden Ausdruck und waren noch zu vernebelt, um wirklich etwas sehen zu können. » Nein!«
Er warf sich mit dem Rücken gegen die Wand und starrte uns drei an; in seinen Augen lag kein Erkennen, kein verstehender Geist. Er presste die Hände gegen die Wand, die Finger wie Klauen gebogen, und einen Moment lang schien es mir, als versuche er, sich durch die Mauer zu graben. Vielleicht war das der Instinkt der Vampire, die sich ihren Weg aus dem Grab herausschaufeln müssen.
»Lucas, es ist alles in Ordnung.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen und versuchte alles, meinen geisterhaften Körper vollständig fest und undurchsichtig zu halten. Vermutlich war es das Beste, so vertraut wie möglich auszusehen. »Wir sind alle hier bei dir.«
»Er erkennt dich noch nicht«, erklärte Balthazar. »Er schaut uns an, aber er kann uns nicht sehen.«
Ranulf fügte hinzu: »Alles, was er will, ist Blut.«
Beim Wort Blut legte Lucas den Kopf schräg wie ein Raubtier, das seine Beute wittert. Da begriff ich, dass Blut das einzige Wort war, das ihm noch bekannt war.
Der Mann, den ich liebte, war zu einem Tier geworden, zu einem Monster, dämmerte mir, und zwar zu eben der kranken, leeren, mörderischen Hülle, für die Lucas einst jeden Vampir gehalten hatte.
Lucas’ Augen verengten sich. Er fletschte die Zähne, und voller Entsetzen sah ich zum ersten Mal seine Vampirreißzähne. Sie veränderten sein Gesicht so sehr, dass ich ihn kaum erkannte, und das quälte mich mehr als alles andere. Seine Körperhaltung veränderte sich, er kauerte sich zusammen, und mit einem Schlag wusste ich, dass er sich zum Sprung bereit machte. Er wollte jeden Einzelnen von uns angreifen, uns alle, alles, was sich bewegte. Mich.
Balthazar reagierte als Erster. Er machte einen Satz, ja er warf sich geradezu auf Lucas und prallte so heftig mit ihm zusammen, dass die Wand hinter ihnen ächzte und Putzstaub von der Decke rieselte. Lucas schüttelte ihn ab, aber da war auch schon Ranulf bei ihm und versuchte, ihn in eine Ecke zu drängen.
»Was macht ihr denn da?«, kreischte ich. »Hört auf, ihm wehzutun!«
Balthazar schüttelte den Kopf, als er wieder vom Boden aufstand. »Das ist das Einzige, was er im Augenblick versteht, Bianca. Körperliche Überlegenheit.«
Lucas stieß Ranulf mit solcher Kraft zurück, dass er gegen mich prallte und ich gegen den alten Projektor stolperte. Scharfes Metall bohrte sich in meine Schulter. Ich fühlte Schmerz, wirklichen Schmerz von der Art, wie ich ihn erlebt hatte, als ich noch einen echten Körper anstelle dieses geisterhaften Ebenbildes besessen hatte. Als ich mit der Hand an meine
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