Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
schon auf halbem Wege zur Tür.
Als sie draußen waren, fuhr ich mit den Händen durch Lucas’ Haar, streichelte seinen Rücken und küsste seine Wange. »Du bist zurück«, sagte ich. »Wir sind wieder zusammen. Wir werden es schaffen.«
»Ich habe nicht geglaubt, dich jemals wiederzusehen. Ich war der Meinung, du wärst tot.«
»Das bin ich auch. Das sind wir beide.«
»Aber … Wie kann das möglich sein?«
»Ich bin ein Geist geworden. Aber geborene Geister wie ich, die von zwei Vampiren abstammen, haben Fähigkeiten, die andere nicht haben. Ich kann einen Körper annehmen, wenigstens eine Zeit lang. Wenn ich das nur früher herausgefunden hätte … Wenn ich dir das nur hätte erzählen können … Das alles hätte nie geschehen müssen.«
»Sag das nicht.« Seine Stimme klang erstickt.
Wir lehnten uns Stirn gegen Stirn aneinander, und diese Berührung hätte Trost spenden sollen, aber wir waren beide so kalt.
»Mein Körper fühlt sich schwer an. Falsch. Tot.« Lucas’ Hand verkrampfte sich auf meiner Schulter. »Und da ist dieser Hunger, der mich rasend macht. Der mich um den Verstand bringt. Dich wieder in den Armen zu halten … Ich hatte dich für immer verloren, und nun bist du wieder da … Aber das Einzige, woran ich denken kann, das Einzige, was ich will …« Er konnte seinen Satz nicht beenden, doch das war auch gar nicht nötig. Ich wusste, dass alles, was er wollte, Blut war.
»Es wird besser werden.« Das hatten mir meine Eltern immer wieder vorgebetet. Und waren nicht die meisten Vampire in Evernight der Beweis dafür?
Lucas schien mir nicht zu glauben, aber zögernd sagte er: »Ich muss wohl Geduld haben.«
»Genau.«
Einige Momente lang hielten wir uns einfach nur in den Armen. Die verblassten Gesichter der Filmstars auf den zerrissenen Postern rings um uns herum schienen uns zu beobachten; eine Zuschauermenge mit dunklen, seelenlosen Augen. Als ich mich gegen Lucas’ Schulter lehnte, versuchte ich, den vertrauten Geruch seiner Haut einzusaugen, aber der war verschwunden. Entweder war sein Duft verflogen, als er starb, oder ich verfügte nicht mehr über den gleichen Geruchssinn wie früher, oder beides.
Uns war so viel genommen worden.
Aber wir beide haben noch immer uns , erinnerte ich mich. Das dürfen wir nie vergessen .
Als Erstes musste ich ihn von dem Ort wegschaffen, an dem er ermordet worden war. Wir mussten irgendwo anders hingehen, wo wir uns geborgener fühlen würden. Vics Haus, entschied ich. Wir hatten uns die letzten paar Monate dieses Sommers dort versteckt, während Vics Familie in Italien Urlaub gemacht hatte. Unser kleines, behelfsmäßiges Zuhause war der Weinkeller gewesen, der allerdings auch nicht viel tröstlicher sein würde, denn schließlich war ich erst am Vortag dort gestorben. Aber vielleicht konnten wir dort bleiben, bis wir uns überlegt hatten, was wir tun sollten.
»Komm mit.« Ich griff nach seiner Hand. Das Korallenarmband, das er mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte, schmiegte sich um mein Handgelenk.
»Sie warten draußen auf uns.«
» Wer wartet auf uns?« Lucas schien sich nicht konzentrieren zu können. Es war, als versuche er, ein Gespräch mit dem Handy zu führen, während er sich gleichzeitig anstrengte, mir zuzuhören. Es war keine Unhöflichkeit; er konnte einfach nicht anders, was viel schlimmer war.
»Balthazar – und Vic und Ranulf auch. Sie sind aus Italien zurückgekommen, nachdem du ihnen eine E-Mail geschickt hattest. Erinnerst du dich?«
Lucas nickte. Seine Hand hielt meine so fest umschlossen, dass es beinahe wehtat. Er schien seine neuen Kräfte noch überhaupt nicht einschätzen zu können – und das, obwohl er bereits vorher über größere Kraft verfügt hatte, weil er schon früher gebissen worden war. Er bewegte seine Kiefer hin und her, als ob er immer und immer wieder das Beißen üben würde.
Wenn er mich bräuchte, damit ich ihm eine Stütze wäre, dann sollte das so sein. Natürlich fiel es mir leichter, tot zu sein, als ihm, dachte ich. Ich hatte ja immerhin einen ganzen Tag Zeit gehabt, mich daran zu gewöhnen. Es hatte mich einige Stunden gekostet, bis ich mich damit abgefunden hatte, körperlos zu sein. Somit also kein Wunder, wenn Lucas eine Weile brauchen würde, um damit klarzukommen, ein Vampir zu sein.
Wir verließen den Projektorraum und liefen durch das verlassene Kino. Die Szenerie in der Eingangshalle war alles andere als schön: Getötete Vampire lagen zusammengekrümmt auf
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