Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
mich ausgerechnet diese Möglichkeit so überraschte. Es war wie in einem Science-Fiction-Film. Vic hätte das alles extrem cool gefunden.
Aber Christopher schüttelte den Kopf. »Wir reisen, um uns die Vergangenheit anzuschauen «, erklärte er. »Die Vergangenheit selbst ist für jeden – sterblich oder nicht – unerreichbar.«
Ich war mir nicht sicher, wo genau der Unterschied lag, aber es blieb keine Zeit zu fragen.
Um uns herum nahm ein Wald Gestalt an, durch den sich eine schmale, unbefestigte Straße wand, in der tiefe Einkerbungen von Wagenrädern und Abdrücke von Pferdehufen zu erkennen waren. Eine Kutsche kam auf uns zu, gezogen von zwei Falben, an beiden Seiten Laternen. Mir schien dieser Anblick sehr romantisch, fast als sei die Szene einem Roman von einer der Brontë-Schwestern entsprungen.
Jedenfalls kam mir das so vor, bis aus der Dunkelheit – beinahe aus dem Nichts, so schien es – Gestalten hervorstürzten und auf die Kutsche sprangen. Die Pferde wieherten und schnaubten, als einer der Angreifer nach den Zügeln griff und die Kutsche zum Halten brachte. Ich sog scharf die Luft ein, aber niemand schien mich hören zu können. Vielleicht war das der Unterschied, wenn man sich die Vergangenheit nur anschaute, sie aber nicht miterlebte.
Christopher stand still neben mir, während wir zusahen, wie diese Wegelagerer, oder was immer sie auch waren, die Türen der Kutsche aufrissen. Im Schein der Laternen konnte ich Gesichter sehen, bösartiges Grinsen und Reißzähne: Vampire bei einem Angriff. »Gut, gut. Was haben wir denn hier?«, höhnte einer von ihnen. »Gäste fürs Abendessen?«
»Ich werde Ihnen sagen, was Sie hier haben.« Mrs. Bethany, in einem Kostüm des 18. Jahrhunderts, die Haare hoch auf dem Kopf aufgetürmt, lehnte sich zur Tür hinaus, vollkommen unbeeindruckt vom Angriff. War dies der Moment, in dem sie verwandelt wurde?
Da legte sie eine Armbrust an.
»Ihr solltet besser die Beine in die Hand nehmen«, sagte sie.
Die Vampire stoben in alle Richtungen davon, allerdings nicht schnell genug. Mrs. Bethany erwischte einen von ihnen mit dem ersten Schuss: Der Holzschaft ragte aus seinem Herzen. Blitzschnell setzen sich auch der Kutscher und die mitreisenden livrierten Diener in Bewegung – jeder Einzelne von ihnen bewaffnet, zielstrebig und entschlossen – und rannten den Vampiren in den Wald hinterher.
»Schnell!«, schrie Mrs. Bethany und sprang mit wehenden Röcken aus der Kutsche. Sie hatte ihre Armbrust bereits wieder geladen, und trotz der Dunkelheit zielte sie und streckte einen weiteren Vampir mit einem einzigen Schuss nieder. Ihr Lächeln strahlte in der Schwärze der Nacht. »Jetzt haben wir sie!«
Sie lachte laut auf und zog ein breites Schwert unter ihrem Umhang hervor. Als sie es hoch in die Luft reckte, wandte ich den Blick ab; ich hatte bereits gesehen, wie ein Vampir geköpft wurde, und dieser Anblick reichte mir für alle Zeiten. Als ich das dumpfe Geräusch des Aufschlags hörte, zuckte ich zusammen. Dann riss ich die Augen auf.
»Die Art und Weise, wie sie alle kämpfen … und wie sich Mrs. Bethany in die Schlacht wirft …« So etwas hatte ich schon vorher gesehen.
»Gut ausgebildet, findest du nicht?« Christopher wandte den Blick nicht von Mrs. Bethany ab.
»Wenn sie Vampire jagte und so genau wusste, was sie zu tun hatte, dann war sie … dann muss sie … Mrs. Bethany war beim Schwarzen Kreuz?«
Ich beobachtete sie weiter. Der Kampf war jetzt vorbei, und die Vampire waren Staub zu ihren Füßen. Im Mondlicht wurde ihr Lächeln weicher, als sie zu einem der livrierten Männer eilte, der, wie ich jetzt begriff, eine etwas jüngere Version von Christopher war. Sie umschlangen einander. Mrs. Bethany legte ihm ihre Arme fest um den Hals, und sie küssten sich so stürmisch, dass ich spürte, wie meine Wangen rot wurden.
»Wir sind beide unter Jägern vom Schwarzen Kreuz aufgewachsen«, erklärte mir Christopher, während er sein Eheglück längst vergangener Zeiten betrachtete. »Als ich in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Amerikas dorthin auswanderte, habe ich mich der allerersten Bostoner Zelle angeschlossen. Dort haben wir uns kennengelernt. In jenen Tagen gab es nur wenige weibliche Mitglieder unter den Jägern, aber meine zukünftige Frau stellte niemand in Frage. Sie war unsere beste Kämpferin. Die Vampire unterschätzten sie immer, bis es zu spät war. Damals entstand bei ihnen die Legende einer Jägerin, die ebenso schön wie
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