Evernight Bd.1 Evernight
der in den Fluren widerhallte, unschuldige kleine Kinder, die entsetzt die Augen aufrissen, wenn Courtney oder Vidette ihnen mit ihren langen, schwarzen Fingernägeln über die Köpfe streichelten. »Aber wir sind eh zu spät dran. Halloween ist schon in zwei Wochen. Vielleicht stellen wir nächstes Jahr was auf die Beine.«
»Wenn ich nächstes Jahr auch noch hier bin, erschieß mich bitte.« Raquel stöhnte und warf sich rücklings auf ihr Bett. »Meine Eltern sagen, ich solle es auskosten, weil ich nur mit einem Stipendium hierherkommen konnte, und die Alternative ist wieder meine alte öffentliche Schule mit Metalldetektoren und ohne Universitätszugang. Aber ich hasse es hier. Ich hasse es.«
Mein Magen knurrte. Der Thunfischsalat und die Crackers, die Raquel und ich uns geteilt hatten, reichten nicht, um meinen Hunger zu stillen; ich würde in meinem eigenen Zimmer noch etwas essen müssen. Aber ich wollte nicht, dass sie das merkte. »Es wird hier schon noch besser werden.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Nein.« Wir sahen uns beide mit trüben Gesichtern an und mussten lachen.
Als wir uns wieder beruhigt hatten, hörte ich plötzlich Schreie, nicht in der Nähe, sondern unten auf dem Flur. Raquel wohnte nicht weit vom Hauptgang entfernt, der die Mädchenschlafräume mit dem Klassentrakt verband; für mich klang es so, als wenn der Lärm von dort käme. »Hey, hörst du das…«
»Ja.« Raquel stützte sich auf die Ellbogen und lauschte. »Ich glaube, das ist eine Schlägerei.«
»Eine Schlägerei?«
»Glaub jemandem, der an der fiesesten öffentlichen Schule in ganz Boston war. Ich erkenne eine Schlägerei, wenn ich sie höre.«
»Dann komm.« Ich griff nach meiner Schultasche und wollte zur Tür gehen, aber Raquel packte mich am Ärmel meines Sweatshirts.
»Was machst du denn? Wir wollen doch nicht in irgendetwas reinplatzen.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. »Man soll keinen Ärger suchen.«
Sie hatte recht, aber ich konnte nicht auf sie hören. Wenn es eine körperliche Auseinandersetzung gab, dann musste ich sicher - und zwar absolut sicher - sein, dass Lucas nicht darin verwickelt war. »Bleib hier, wenn du willst. Ich werde gehen.«
Raquel hielt mich nicht auf.
Ich rannte in Richtung der Rufe und sogar Schreie. Da war Courtneys Stimme, in der eine wilde Freude mitschwang, als sie rief: »Zeig’s ihm.«
»Hey, Jungs!« Vics Worte hallten im Flur. »Hört schon auf!«
Mir sank das Herz in die Hose, als ich um die Ecke bog, und sah, wie Erich Lucas ins Gesicht schlug.
Lucas taumelte zurück und fiel vor allen, die sich hier tummelten, also fast vor der gesamten Schule auf den Hintern. Die Evernight-Typen brachen in Gelächter aus, und Courtney begann sogar, Beifall zu klatschen. Lucas’ Lippen waren von Blut verschmiert, das sich dunkel von der blassen Haut abhob. Als er merkte, dass er zu mir hochsah, kniff er fest die Augen zusammen. Vielleicht schmerzte ihn die Scham mehr als der Hieb.
»Beleidige mich nie wieder«, herrschte Erich ihn an. Er hob die Hände und musterte sie, als ob er zufrieden mit seinem Werk war. Auch auf seinen Fingerknöcheln glänzte Lucas’ dunkles Blut. »Wenn nicht, bringe ich dich nächstes Mal endgültig zum Schweigen.«
Lucas setzte sich auf und starrte Erich eindringlich an. Eine seltsame Stille legte sich über die versammelte Schülermenge, als ob mit einem Mal alles viel ernster geworden und als ob der Kampf noch nicht zu Ende wäre, sondern im Gegenteil gerade erst richtig anfing. Allerdings spürte ich keine Furcht, sondern Vorfreude. Eifer. Den Wunsch nach Bestrafung. »Beim nächsten Mal wird das ganz anders ausgehen.«
»Ja, das glaube ich auch«, feixte Erich. »Nächstes Mal wird es wirklich wehtun.« Er stolzierte davon: in Courtneys Augen und in denen der anderen, die ihm nachsahen, ganz der stolze Held. Alle übrigen hatten es ziemlich eilig, wegzukommen, ehe irgendein Lehrer auftauchte. Nur Vic und ich blieben.
Vic kniete neben Lucas. »Übrigens siehst du echt fertig aus.«
»Danke, dass du es mir so schonend beibringst, Mann.« Lucas holte tief Luft und stöhnte. Vic half ihm und stützte ihn, dann bot er ihm ein zusammengeknülltes Taschentuch an, um das Blut zu stillen, das Lucas aus der Nase lief.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Konnte an nichts anderes denken als daran, wie schrecklich Lucas aussah. Erich hatte ihn offensichtlich ziemlich fertiggemacht. Seit dem Vorfall im Pizzarestaurant hatte ich Lucas immer für
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