Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
Vampir. Was denn sonst? Wenn wir ihn in ein Abendessen verwandeln würden, könnte er wohl kaum noch aussagen. Aber als Vampir schon.“
Evianna dachte nach. Woher sollte sie so schnell einen Vampir bekommen? Mal abgesehen davon, dass es nicht der üblichen Vorgehensweise der BVb entsprach, sterbende Menschen in Vampire zu verwandeln. Streng genommen gehörte das sogar zu den verbotenen Dingen.
Evianna zog fluchend ihren PPC hervor.
„Was hast du vor?“, fragte Shaytan.
„Ich werde ihn abholen lassen.“
„Warte.“ Shaytan legte die Hand auf ihren Arm. „Das würde zu lange dauern. Das Rheintal-Krankenhaus ist das nächstgelegene und es ist die einzige
humanoidmorphologische Klinik weit und breit. Entweder können die dort noch etwas für ihn tun, oder nirgendwo.“
Evianna überlegte kurz und nickte.
„Wir bringen ihn hin und treffen uns dort. Bis gleich.“
Evianna lief zurück zum Wagen und raste in halsbrecherischer Geschwindigkeit aus dem Wald und über die Straßen in Richtung Rheintal-Klinik. Fünfzehn Minuten später erreichte sie den Besucher-Parkplatz der Klinik und hielt in dessen dunkelster Ecke. Gleich darauf trat Shaytan aus der Dunkelheit, den bleichen Körper des Menschen auf den Armen.
„Lebt er noch?“
„Ja, aber es muss jetzt schnell gehen.“ Shaytan legte den Mann auf den Rücksitz des Kombis.
Evianna sprang in den Wagen und gab Gas. Sie fuhr auf direktem Weg in die Notaufnahme. Dem Personal dort erklärte sie knapp alles Nötige. Der Mensch wurde auf eine Bahre gehoben und auf die Intensivstation gebracht.
Evianna blieb nichts anderes übrig, als auf einem unbequemen Stuhl vor der Tür zu warten.
Menschen in hellgrüner OP-Kleidung kamen und gingen. Nachdem eine ganze Stunde vergangen war, hielt sie es nicht mehr aus und sie ging hinüber zur Information. Doch über den Stand der Dinge bei dem Vampiropfer konnte man keine Auskunft erteilen.
Aus einem der hinteren Flure kam ein Mann im dunklen Anzug. Ihm folgte eine muntere Kinderschar von denen keines älter als vier Jahre war. Einer der Jungen zog ein Spielzeugauto auf und ließ es über den Flur sausen. Es landete direkt vor Eviannas Füßen. Sie bückte sich und hob es auf. Der Junge lief auf sie zu, sah sie strahlend anund zeigte dabei seine Fänge. „Ich werde heute entlassen“, verkündete er stolz.
Evianna ging in die Hocke und gab dem kleinen Vampir das Spielzeugauto zurück. „Das ist schön. Da wird sich deine Mutter bestimmt sehr freuen.“
„Ich habe keine Mutter und mein Vater ist jetzt Dr. Thiel.“ Er zeigte auf den Mann im dunklen Anzug.
„Komm‘ jetzt, Jarrid“, sagte Dr. Thiel zu dem Jungen. „Es wird Zeit für uns zu gehen.“ Er nickte Evianna zu, dann begleitete er die Jungen und Mädchen hinaus. Evianna sah sie in einen Kleinbus steigen.„Was sind das für Kinder?“, fragte sie die Dame an der Information. „Es sind Evidenten. Dr. Thiel ist so nett und kümmert sich in einer privaten Einrichtung um sie.“
„Wieso? Was fehlt ihnen?“
„Ihnen fehlt nichts. Im Gegenteil. Sie haben etwas, was der Rest ihrer Spezies nicht hat. Eine Art Weiterentwicklung sozusagen.“
„Sind sie alle Vampire?“
„Nein. Die genetischen Mutationen betreffen die gesamte Erdbevölkerung. Hervorgerufen wurden sie durch die freigesetzte Strahlung während des Polsprungs und in der Zeit danach.“ Die Dame hinter dem Tresen seufzte. „Wir sind froh, dass Menschen wie Dr. Thiel sich um die Kleinen kümmern. Die Estropienten, also die Kinder, bei denen die Strahlung keine Weiterentwicklung sondern eine Rück- oder sogar eine Fehlentwicklung hervorgerufen hat, haben nicht so viel Glück. Niemand will sie und es gibt nicht genug Personal, das sich angemessen um sie kümmert.“ „Was passiert mit ihnen?“
Das Telefon klingelte. Die Dame hob bedauernd die Schultern und nahm das Gespräch an. Dann lief sie samt Telefon den Flur hinunter und verschwand. Evianna setzte sich wieder. Dass es Auswirkungen der Strahlung auf die erste Generation nach dem Polsprung gab, war Evianna bekannt. Niemand wusste aber, was aus dieser Generation werden oder hervorgehen würde. Sicher war nur, dass es nicht nur Gutes sein würde. Letztendlich konnte man nichts weiter tun als abzuwarten.
Am Ende des Flurs erschien eine weiß gekleidete Frau. Vielleicht konnte die sie mit ein paar Informationen versorgen. Evianna wollte gerade aufstehen, als sie bemerkte, dass die Frau schon wieder verschwunden war. Seltsam, denn sie hatte weder eine der Türen
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