Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
mitbekam. Dann setzte er die Tarnkappe auf und verschwand.
Je länger Evianna über all das nachdachte, desto mehr drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf bis sie irgendwann vor Erschöpfung einschlief.
Gegen Morgen fuhr Evianna aus dem Schlaf auf. Engus stand auf dem Sessel gegenüber und zitierte in dramatischer Pose Goethes Faust.
Ach wenn in unsrer engen Zelle Die Lampe freundlich wieder brennt, Dann wird's in unserm Busen helle, Im Herzen, das sich selber kennt.
„Halt die Klappe Engus!“, rief Evianna schlaftrunken und warf ein Sofakissen nach ihm.
Engus wich geschickt aus. „Meinetwegen. Aber du hast Besuch.“ Er deutete in den Vorgarten.
„Besuch?“ Evianna rieb sich die Augen. „Wen denn?“ Sie stand auf und warf einen Blick aus dem Wohnzimmerfenster. Dort stand Shaytan und schien auf irgendetwas zuwarten. „Auch das noch.“
„Soll ich ihn reinlassen?“, fragte Engus.
„Nein. Auf keinen Fall. Der da bleibt draussen.“ Noch immer war Evianna zu keiner Entscheidung gekommen, was die Besitzverhältnisse der Tafeln betraf. Evianna flitzte die Treppe hinauf und schloss sich in ihrem Beschwörungszimmer ein. Sie rief Shak herbei doch der ließ auf sich warten. Als er endlich erschien, sah er selbst für einen Dämon reichlich mitgenommen aus.
„Hey, Shak. Hast du die Tafeln?“
„Ich freue mich auch dich zu sehen, Evianna.“ Er lächelte müde. „Und um deine Frage zu beantworten…“, nach einer eleganten Handbewegung erschienen sechs steinerne Tafeln im Kreis. „Ja, ich habe die Tafeln.“
„Woher weiß ich, dass das die Schicksalstafeln der Gargoyles sind?“ „Du wirst mir glauben müssen.“
Evianna seufzte. Ihr kam der Gedanke, Shaytan herauf zu bitten doch während sie noch darüber nachdachte, rief der praedicator den Sonnenaufgang aus. Also war Shaytan zurück auf seiner Burg, hockte auf einem Mauervorsprung und wartete darauf, dass die Sonne wieder unterging.
Dies Lunae a.d. V Ianuaris im Jahre V nach dem Polsprung
Vor Sonnenuntergang würde also keiner der Gargoyles einen Blick auf die Tafeln werfen können.
„Komm‘ bei Sonnenuntergang wieder. Dann werden wir sehen, ob…“ „Nein!“, unterbrach Shak sie. „Entweder jetzt oder nie.“
Evianna biss sich auf die Lippen und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Evianna, bitte. Ich kann jetzt nicht wieder hinuntergehen. Wir haben einen Deal. Lass‘ mich frei.“
„Nein. Niemand wird bis zum Sonnenuntergang die Echtheit dieser Tafeln bestätigen können.“
„Aber ich kann es. Sie sind echt.“
„Shak, ich kann das nicht machen.“
„Warum nicht? Bitte, ich hab‘ dich noch nie belogen.“
„Aber du hast mir wichtigeDinge verschwiegen. Das ist in etwa dasselbe.“ „Doch nur damit du mich ein weiteres Mal beschwörst oder um dich zu beschützen.“ „Nein.“
Shak seufzte und ließ den Kopf hängen. „Na schön. Ich werde gehen. Aber wenn ich jetzt gehe, wirst du weder mich noch die Tafeln je wiedersehen.“
„Du wirst kommen wenn ich dich rufe.“ Evianna wusste, dass Shak sich nicht dagegen wehren konnte. Denn wenn man es richtig anstellte, hatte der Dämon selbst keinen Einfluss darauf.
„Nicht wenn man mich daran hindert. Und, glaub mir, das werden sie - für das, was ich getan habe.“
Evianna wußte nicht, was sie tun sollte. Der Nebel der Zwischenwelt erschien und hüllte Shak ein.
„Warte!“, rief Evianna. „Ich mach’s.“ Sofort verschwand der grünliche Nebel. Zurück blieb ein erwartungsvoller Shak, der Evianna die Hand entgegenstreckte. Evianna sammelte all ihre Willenskraft zusammen. Dann durchbrach sie den Kreis, der mit einem lauten Plopp fiel. Sie ergriff Shaks sehnige Hand. In dem Moment begann der Dämon laut zu lachen. Evianna überkam Panik. Was hatte sie getan? Die Tafeln lagen nach wie vor in der Mitte des Kreises, den Shak nun verließ. Die Augen des Dämons glühten und er reckte und streckte sich. Er trat ans Fenster und betrachtete sein Spiegelbild in der Scheibe. Verächtlich schnaubte er und wandt sich zu Evianna um, die ihn wie versteinert beobachtete.
„Das hier sollten wir zuerst ändern“, sagte Shak und deutete vage auf sein Gesicht. „Zeig mir irgendwen, der absolut scharf aussieht“, sagte er und ging zur Tür. Endlich kam Evianna zu sich und lief hinter ihm her. Shak blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah sich um.
„Nach unten“, sagte Evianna und deutete die Treppe hinunter. Unten angekommen fiel Shaks Blick auf Engus, der mit schreckgeweiteten Augen hinter dem
Weitere Kostenlose Bücher