Evies Garten (German Edition)
sein?«
»Sie ist wahrscheinlich weggelaufen. Ein Mensch löst sich doch nicht einfach in Luft auf. Ich denke, Rodney hat sich einfach eingebildet, sie verschwinden zu sehen, während sie in Wirklichkeit vor ihm weglief, weil er sie bei etwas Verbotenem erwischt hatte. Du weißt doch, wie viele Senken und Hecken es auf eurer Apfelplantage gibt. Außerdem«, fügte sie hinzu, »brauchst du dich doch nur ein wenig in Beaumont umzusehen. Hier ist nicht viel los. Sicher wollte sie einfach fort von hier.«
»Aber was ist mit meinem Saatkorn?«, wollte Evie wissen. »Es ist kein gewöhnliches Saatkorn. Ich bin mir sicher …« Evie war jetzt so aufgeregt, dass sie gar nicht bemerkte, dass ihr Vater zurückgekommen war.
»Worüber bist du dir sicher?«, fragte er aufmerksam.
Evie flehte Maggie mit einem Blick an, nichts zu verraten.
Maggie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sicher, dass es bald anfängt zu schneien«, sagte sie schließlich und tippte den Preis für Vaters neues Sägeblatt ein. Evie lächelte sie dankbar an, doch Maggie starrte nachdenklich in die Ferne. Ihre Finger drückten die Tasten der Kasse, ihre andere Hand lag auf dem Sägeblatt. Als sie eine kleine Bewegung machte, ritzte sie sich in den Finger. Sie zog ihn schnell weg und umwickelte ihn mit ihrer Schürze. Doch da war schon ein einzelner Blutstropfen das Sägeblatt heruntergelaufen.
Vater streckte die Hand aus, um Maggie zu helfen, doch sie zuckte zusammen.
»Ich hätte besser aufpassen sollen«, murmelte sie. »Hätte ich doch besser hingesehen …« Sie lachte nervös. »Keine Angst«, sagte sie dann und sah dabei Evie an.
Keine Angst.
Doch ihre Augen sagten etwas ganz anderes.
Vater hob das Sägeblatt von der Theke, und Evie und Maggie folgten ihm hinaus zum Wagen.
»Einen Moment«, sagte Maggie, als die beiden einsteigen wollten. »Ich habe Ihr Wechselgeld ganz vergessen. Evie, kommst du bitte noch mal mit rein, dann gebe ich es dir.«
Evie nickte und lief zurück, bevor Vater widersprechen konnte. Als sie im Laden waren, nahm Maggie Vaters Wechselgeld von der Kassentheke und zählte es in Evies Handfläche. »Eigentlich glaube ich nicht an diesen ganzen Unsinn«, sagte sie ernst, »aber rühr das Saatkorn trotzdem nicht an. Versprich es mir!«
Evie zögerte.
»Wirst du einen schönen Garten finden, Mom?«
»Ich hoffe es, Evie.«
»Dann treffen wir uns dort.«
Sie steckte Vaters Wechselgeld in die Hosentasche. »Ich verspreche es«, sagte sie, aber sie kreuzte insgeheim die Finger, denn sie hatte nicht vor, das Versprechen zu halten.
Ein Riesenschritt
Als Evie und ihr Vater nach Hause zurückkamen, war es schon dunkel. Evie dachte trotzdem daran, sich hinaus in den Garten zu schleichen, doch bei der Vorstellung, allein da draußen zu sein, schauderte sie.
Stattdessen lag sie fast die ganze Nacht wach. Die Möglichkeit, dass Mom in einem wunderschönen Garten auf sie wartete, machte sie ganz kribbelig. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich früher ihre eigenen Gärten vorgestellt hatten: Evies war voller Wasserfälle und Regenbögen und es lebten dort alle möglichen Tiere.
»Kein Gemüse?«, fragte Mom und legte sich neben Evie aufs Bett.
»Nein, doch kein Gemüse!«, antwortete Evie.
Mom lachte. »Ich will Gemüse in meinem Garten haben. Und einen Obstgarten wie den, in dem dein Vater werkelt, und ein kleines Häuschen wie unseres und ein kleines Mädchen wie …«
»Hey, das gehört doch nicht zu einem Garten!«
»Aber ja doch«, hatte Mom widersprochen. »Die Welt ist mein Garten, Evie, Liebling. Die ganze Welt.«
Evie stellte sich vor, wieder in den Armen ihrer Mutter zu liegen, und nickte ein. Als sie aufwachte, konnte sie die Körperwärme ihrer Mutter, die sich an sie schmiegte, fast spüren. Sie streckte die Hand aus, doch ihre Mutter war nicht da.
Evie lag noch lange im Bett, ohne sich zu rühren, und wartete, bis der Schmerz nachließ. Dann fiel ihr Blick auf das Kästchen auf ihrem Nachttisch, und sie strich mit dem Zeigefinger über seine glatte Oberfläche.
»Bringst du mich zu Mom?«, flüsterte sie.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ihr Wecker zehn Uhr anzeigte. Sie hatte den ganzen Morgen vor sich hin geträumt. Evie zog sich Kleider und Schuhe an, wusch sich das Gesicht und lief die Treppe hinunter in die Küche. Sie schaute aus dem Fenster. Als sie Alex nicht auf dem Friedhof entdecken konnte, verließ sie das Haus, um ihn zu suchen.
Sie musste nicht weit gehen. Alex saß mit verstrubbelten
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