Evil - Das Böse
zumindest sein könnte. Ihr verurteilt ohne Beweis, und dann erwartet ihr, dass ihr respektiert werdet, das ist eine beschissene Gemeinheit und sonst nichts.«
»Neben deinen bereits aufgelaufenen zehn Samstagsonntagen wirst du zu einem weiteren Samstagsonntag für das erste verbotene Rauchen und zu einem weiteren wegen Fluchens vor dem Rat verurteilt. Hast du das kapiert?«
»Nein, ihr habt was übersehen, ich glaube, das Urteil ist noch zu mild.«
»Wie das?«
»Na ja, ich soll doch bestimmt auch für das Fluchen um Entschuldigung bitten, und da ich das nicht tun werde, wird der Zirkus mindestens noch eine Runde weitergehen. Da könnt ihr doch gleich noch mal richtig hinlangen, zumal ich immer noch nicht vorhabe, irgendwem die Schuhe zu putzen oder überhaupt irgendwelche von den Befehlen zu befolgen, die sich Schenken und andere bestimmt bald ausdenken.«
Das Gericht legte abermals eine Beratungspause ein. Sie dauerte diesmal zwanzig Minuten, dann wurde er wieder hineingerufen und erfuhr, dass das Urteil bis auf weiteres zwölf Samstagsonntage laute, die Sache seines unverschämten Auftretens dem Rat gegenüber jedoch noch nicht abschließend geklärt sei, was jederzeit zu einer neuen Verhandlung führen könne, wenn der Rat das für sinnvoll halte.
Erik war erleichtert, als er zu seinem Zimmer ging, aber er war sich nicht sicher, ob er sich richtig verhalten hatte. Einerseits bedeutete dieses Urteil, dass er gelassen alle Befehle verweigern und sich den Peppis im Speisesaal entziehen konnte. Andererseits hatte er einen Skandal verursacht, das hatte sich mit aller denkbaren Deutlichkeit an der Reaktion der anderen Delinquenten gezeigt, als er wieder draußen auf dem Gang stand. Keiner war jemals schon beim ersten Mal vor dem Rat zu einer so harten Strafe verurteilt worden. Keiner hatte überhaupt jemals eine so harte Strafe auferlegt bekommen.
Es lag natürlich auf der Hand, dass er damit die Autorität des Gerichts auf die Probe gestellt hatte. Die Ratis mussten jetzt eine Möglichkeit finden, um ihn zum Gehorchen zu zwingen. Und gegen Ratis durfte man sich nicht wehren. Die Leute aus der Abiklasse wären kein Problem mehr. Aber zwölf Ratsmitglieder, denen man auf jeden Fall gehorchen musste? Da kamen verdammt viel Schuhe zusammen. War nicht doch alles nur noch schlimmer geworden?
»Ich hab’s mir fast gedacht, dass es so kommt«, sagte Pierre. »Mit zwölf Samstagsonntagen hätte ich vielleicht nicht gleich gerechnet, aber mit irgendwas in der Richtung schon. Du hast allerdings was missverstanden: man muss ihnen nicht immer gehorchen, man kann sich auch für eine Bestrafung entscheiden, es kommt darauf an.«
Es stellte sich heraus, dass die Regeln ein wenig unklar waren. Im Prinzip durfte man niemals gegen ein Ratsmitglied die Hand heben, denn das führte zum sofortigen und unvermeidlichen Schulverweis. Aber wenn ein Ratsmitglied einen aufforderte, Schuhe zu putzen oder zum Kiosk zu gehen, dann wurde die Befehlsverweigerung geahndet wie jede andere Befehlsverweigerung einem aus der Abiklasse gegenüber. Erik hatte sich also in eine Lage manövriert, in der er allerlei Dienste würde verweigern können, zum Ausgleich aber würde er jede Menge Prügel kassieren.
Sie lagen in der Dunkelheit und drehten und wendeten dieses Problem noch, als das Licht auf dem Gang längst gelöscht war.
Das ist ein verdammter Mist, Pierre, so sieht’s aus. Ich hab mir geschworen, als ich hergekommen hin, dass ich jedem Ärger aus dem Weg gehe. Du weißt das nicht, und ich weiß nicht, oh ich Lust hab, es dir zu erzählen, aber ich hatte auf meiner alten Penne einfach viel zu viel Ärger. Ich bin nicht wie du, zwischen uns besteht ein Unterschied, den ich dir erklären kann, aber du musst versprechen, es niemand anderem zu sagen: Ich kann mich prügeln. Und damit meine ich nicht, ich kann’s ein bisschen - ich kann mich dermaßen prügeln, das kannst du dir nicht mal vorstellen. Nein, glaub nicht, das sei Angeberei, ich bin nicht so stolz darauf, wie du vielleicht glaubst. Aber ich hab mich mein Leben lang geschlagen geschlagen geschlagen, so lange ich mich erinnern kann jedenfalls. Und wenn man das getan hat, dann weiß man besser als alle anderen, dass das nie ein Ende nimmt. Es fängt damit an, dass man der Stärkste in der Klasse ist, das hast du vielleicht schon begriffen. Aber wenn man dann der Stärkste in der Klasse ist, dann wird man von den anderen herausgefordert, die es auch gern wären. Dann kommen Leute
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