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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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aus anderen Klassen und wollen wissen, wer von allen vierten Klassen der Stärkste ist, und danach kann man testen, wer der Stärkste in der ganzen Mittelschule ist, es gibt nie und nie ein Ende. Ich dachte, es wäre jetzt vorbei. Ich fürchte mich nicht vor Schlägen so wie du, ich kann viel aushalten, viel mehr als andere. Aber ich fürchte mich davor, in eine Situation gedrängt zu werden, in der ich die ganze Zeit zurückschlagen muss. Ich bin im Grunde so wie du, ich glaube, dass das, was man mit dem Kopf macht, wichtiger ist, und dass Schläge nur schaden. Man schadet sich damit selbst, glaube ich. Dass man anderen schadet, ist ja klar, obwohl eine geplatzte Lippe und ein blaues Auge wieder heilen. Aber man selbst bekommt dadurch keine Freunde. Alle fürchten einen und keiner ist ehrlich.
    Mann, Erik, du hast gut reden, du kannst zurückschlagen, du bist fast so groß wie die in der zweiten Gymnasialklasse. Aber überleg mal, wenn du so wärst wie ich und nie zurückschlagen könntest. Klar sind Schule und Studium später wichtiger, ich meine, natürlich ist das intellektuelle Leben wertvoller. Aber was glaubst du, wie oft ich mir gewünscht habe, so zu sein wie du, Mann, wenn ich zurückschlagen könnte, wenn ich mich weigern könnte, wenn sie mit ihren blöden Befehlen kommen, dass ich ihr Bett machen und ihnen Zigaretten kaufen soll und so. Aber wenn man nun mal nicht zuschlagen kann, was tut man dann? Man kann es machen wie Arne aus unserer Klasse und den Affen spielen und eine Zirkusnummer abziehen, wenn man einen Peppis kriegt, dann lacht wenigstens der ganze Speisesaal. Er macht das ja, um sich zu verteidigen, das kapieren alle. Man muss sich irgendwie verteidigen, aber mir ist das immer schon schwer gefallen. Und wenn man sich nicht verteidigen kann, dann wird man so einer, den alle auslachen, und dann zieht man noch mehr Gewalt an, man wird geradezu zum Magneten für Gewalt. Wenn du sagst, dass man sich mit Gewalt keine Freunde macht, dann klingt das irgendwie verrückt. Wer, glaubst du denn, will mit einem befreundet sein, der fett und lächerlich ist und beim ersten Schlag losheult wie ein Rotzbengel? Wie oft, glaubst du, wünscht sich einer wie ich, er könnte mir dir tauschen, auf irgendeine Weise du werden, aber natürlich immer noch er selber sein?
    »Was meinst du, Pierre, es kann doch nur richtig sein, sich gegen sie zu wehren?«
    »Ja, natürlich ist es richtig. Ihr System ist grausam und sie sind gemein, und wenn wir erwachsen sind, werden du und ich wahrscheinlich gegen solche wie sie kämpfen, nur mit anderen Mitteln. Natürlich ist es richtig.«
    »Glaubst du, man kann sich auch ohne Gewalt gegen sie wehren?«
    »Das glaube ich. Jedenfalls will ich es glauben.«
    »Ich will es auch glauben. Sagen wir gute Nacht?«
    »Ja, gute Nacht.«
    »Schläfst du, Pierre?«
    »Ja, fast.«
    »Ich wollte nur sagen, dass du mein Kumpel bist.«
    »Du bist auch mein Kumpel, Erik. Du bist der einzige Kumpel, den ich auf dieser Penne je gehabt habe.«
    Das Gerücht über das harte Urteil brauchte keinen Tag, um sich in der ganzen Schule zu verbreiten. Das zeigte sich auf erwartete und auf unerwartete Weise. Dass der ein oder andere Typ aus der Abiklasse ihm irgendeinen halbherzigen Befehl zurief und gleich darauf mit einer Anklage wegen Befehlsverweigerung drohen würde, lag auf der Hand. Erik wunderte sich nur darüber, dass er auch von anderen Mittelschülern als »neu und frech« angepöbelt wurde. Unter normalen Umständen sollten doch diejenigen, die selbst mit Peppis oder höhnischen Befehlen gequält wurden, Befehlsverweigerer zu schätzen wissen. Doch in Stjärnsberg war vieles anders. Stjärnsberg war eine Welt außerhalb der Welt, in der man nie genau wusste, was eigentlich vor sich ging. Stjärnsberg hatte seine eigenen Gesetze, seine eigenen Regeln und seine eigene Moral.
    Moral war jedenfalls ein Wort, das der alte Pastor und der Rektor in ihren Morgenpredigten oft verwendeten. Ein Stjärnsbergknabe wurde dazu erzogen durchzuhalten, härter und disziplinierter zu sein als andere. Man musste gehorchen und befehlen können. Das war nötig für die Zukunft, wenn die Stjärnsbergknaben einst die Industrie und die Streitkräfte des Landes dirigieren würden.
    Erik ging mitten in der Menschenmenge die breite Treppe zum Speisesaal hoch. Bei dem Absatz, wo die Treppe ein wenig die Richtung änderte, drängten sich zwei Gymnasiasten an ihm vorbei und stießen ihn gleichzeitig mit den Ellbogen an. Er

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