Evil - Das Böse
haben.«
Pierre erzählte zögernd und ohne viele Details. Anfangs war alles wie ein Spiel. Die ganze Schule sang Spottlieder und lachte. Aber dann ging es immer härter zu, und der, der hinauskroch, blutete immer, fast immer.
»Genauer, Pierre, das hier ist ernst, du musst mir helfen! Wie kämpfen die, treten sie, schlagen sie mit Fäusten oder Handkanten, greifen sie gleichzeitig an oder wechseln sie sich irgendwie ab, zielen sie aufs Gesicht oder auf den Körper, treten die in die Eier? Erzähl endlich, das ist wichtig, Pierre!«
Sie saßen auf ihrem Zimmer und Erik wühlte in seinen Kleidern, während er versuchte, ein Detail nach dem anderen aus Pierre herauszuholen. Aber Pierre erzählte nichts Konkretes, er schilderte immer nur seine Empfindungen dabei. Er wusste wohl zu wenig über Gewalt, um den Verlauf einer Prügelei analysieren zu können.
Erik wiegte seine Fußballschuhe in der Hand. Er könnte sich eine Zange suchen und die Stollen abknipsen. Das würde zu einem harten Tritt führen und die Füße davor schützen, über den Asphalt zu schrammen, wenn er unten zu liegen käme. Aber die glatte Sohle aus hartem Kunststoff würde keinen richtigen Halt geben. Die losen Sandkörner auf dem Zementboden würden wie kleine Räder wirken, sodass die Füße hin und her rutschten, wenn man sich rasch bewegte, und wenn man ausrutschte und unter zwei schweren Typen landete, würde es verdammt schwierig, sich wieder freizukämpfen. Wenn man es doch schaffte, hätte man Schürfwunden im ganzen Gesicht, und wenn man zu stark aus den Augenbrauen blutete, konnte man katastrophal wenig sehen. Die Fußballschuhe konnte er nicht nehmen. Also Turnschuhe.
Und Jeans. Seine Jeans waren weich und oft getragen, deshalb boten sie große Bewegungsfreiheit. Sie waren nicht so weit wie eine Trainingshose, aber der weiche, schlaffe Stoff der Trainingshosen war nicht gut, weil man ihn zu leicht zu fassen bekam. Darum zog er auch den Gürtel aus seinen Jeans. Wenn man gegen zwei auf einmal kämpft, ist es wichtig, dass einen nicht der eine packen kann und damit dem anderen Gelegenheit zum ungehinderten Treten oder Schlagen geben. Jeans und Turnschuhe, die Schnürsenkel mussten fest gebunden werden. Keine losen Enden.
Das größte Problem war, was er am Oberkörper tragen sollte. Das Beste wäre ein Pullover mit langen Ärmeln und so eng, dass man ihn nicht fassen konnte, aber weit genug, damit er nicht in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Eine schlaffe Trainingsjacke würde die Ellbogen schützen, wenn er auf den Zement fiele oder unter den anderen zu liegen käme, aber sie war zu leicht zu fassen. Pierres Größe kam nicht infrage und er selbst hatte nichts Passendes. Also musste er ein eng sitzendes weißes Polohemd nehmen. Ein rotes wäre besser gewesen, weil Blut auf Weiß so gut zu sehen ist, aber er hatte nur ein weißes. Die Ellbogen waren jetzt ein Risiko, aber seine Arme hatten genügend Bewegungsfreiheit und kein loser Stoff bot eine Zugriffsmöglichkeit. Damit war er richtig angezogen.
Er trat vor den Spiegel und schaute sich in die Augen. Hob die Lippen und musterte seine Zähne. Pierre saß stumm und mit hochgezogenen Beinen auf seinem Bett.
»Treten sie dem, der unten liegt, ins Gesicht?«, fragte Erik, ohne sein Spiegelbild aus den Augen zu lassen.
»Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Aber ein Typ musste voriges Jahr zum Zahnart und sich einen Stiftzahn einsetzen lassen.«
Einen Stiftzahn. Oder zwei?
Er ging zum Bett und saß stumm und mit gesenktem Kopf und betrachtete seine Hände mit den weiterhin sichtbaren weißen Narben. War das jetzt seine Strafe? Würde er jetzt und in den kommenden Jahren dafür büßen müssen, was er anderen angetan hatte? Er sah auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde. Pierre sagte kein Wort und sein Gesicht war starr, so, als müsse er sich gewaltig beherrschen.
»Pierre, mein kleiner südländischer Freund mit nichtgermanischer Nase, vielleicht sieht meine Nase in einer Stunde ja auch so aus wie deine. Aber weißt du, falls du das noch nicht kapiert hast: es steht nicht fest, dass ich verliere. Ich kann auch gewinnen.«
»Und wie groß ist deine Chance?«
»Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich hab ja nicht gesehen, wie die Typen kämpfen, und du hast ihre Technik nicht unbedingt präzise beschrieben. Wenn ich ihnen schon mal bei einem Kampf zugesehen hätte, würde ich’s jetzt wissen. So weiß ich nur, dass sie zu zweit sind, dass der eine
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