Evil - Das Böse
schon. Eigentlich könnt ihr überhaupt nichts, was mir nicht ausdrücklich zur Last gelegt wird, ›besonders in Betracht‹ ziehen. Also äußere ich mich auch nur zu den vorliegenden Anklagen und verlange, dass der Rat diese Einstellung akzeptiert.«
»Braucht der Rat Bedenkzeit, was diesen Einwand angeht?«, fragte der Vorsitzende.
Der Rat genehmigte sich fünf Minuten Bedenkzeit. Als Erik wieder hineingerufen wurde, erfuhr er, dass der Rat seinen Einwand als vollkommen korrekt akzeptiert hatte. Sie könnten nur in den Fällen urteilen, die dem Rat vorlägen. Andere Sachverhalte besonders in Betracht zu ziehen, komme nicht in Frage.
»Aber das bedeutet nicht«, sagte darauf der Vorsitzende, »dass der Fall weniger schwer wiegend wäre. Wir haben zwölf Fälle zu beurteilen. Du hast gehört, worum es bei diesen Klagen geht. Kannst du sie insgesamt erklären oder willst du dir jeden für sich vornehmen?«
»Ich kann den Scheiß auch auf einem Haufen abhandeln.«
Der Vorsitzende gab vor, dieses unflätige Wort nicht gehört zu haben.
»Also«, sagte er, »dann erzähl uns, wie du diese zwölf Fälle von Befehlsverweigerung siehst.«
»Die Anklagen treffen zu. Ich habe bereits erklärt, dass ich keinem aus der Abiklasse gehorchen werde, und das bedeutet im Prinzip, dass jede Klage natürlich zutreffen könnte. Ich kenne nicht einmal die Namen derjenigen, die mich angeklagt haben, aber ich glaube, die Situationen zu kennen, von denen hier die Rede ist. Na gut, dann bin ich also schuldig. Ich bitte um das Urteil.«
»Ist der Rat bereit, in dieser Angelegenheit ein Urteil zu fällen?«, fragte der Vorsitzende und die anderen nickten schweigend.
»Der Rat verurteilt dich hiermit zu zwölf Samstagsonntagen Arrest wegen Befehlsverweigerung.«
Erik wiederholte in Gedanken den Paragrafen. »… von Ratsmitgliedern oder Schülern der Abiturklasse erteilte Befehle müssen von jüngeren Schülern unverzüglich befolgt werden.«
Demnach konnte das Ganze infrage gestellt werden. Die Befehle, von denen hier die Rede war, mussten sich eigentlich auf das höfliche Benehmen aus dem ersten Teil des Paragrafen beziehen, wo es um die Laufburschentätigkeit ging. Andererseits war dort ganz allgemein von den Schulprinzipien und der Kameradenerziehung die Rede, und das ließ sich beliebig auslegen. Außerdem ließ der Rest des Paragrafen keinen Raum für Zweifel: »Der Rat hat, nach Prüfung des Sachverhaltes, Strafen für Befehlsverweigerung zu verhängen.«
Wer nicht gehorchte, konnte also bestraft werden, wie es ihnen gerade passte. Und Arrest war besser als Strafarbeit, zumal seine Strafzeit nun weit ins Winterhalbjahr hineinreichte. Das war nur gut für das Lernen. Es gab keinen Grund, daran zu rütteln. Aus Gewohnheit fanden sie Arrest offenbar schlimmer als Strafarbeit, aber das lag wahrscheinlich an einem einfachen Denkfehler. Sie mussten bei »Strafarbeit« an die harmlosen Tätigkeiten allgemeiner Art gedacht haben, die man sich erschleimen konnte. Aber wenn man jede Woche diese Grube ausheben müsste, würde die Sache unerträglich werden und irgendwann zu einer Situation führen, wie sie in § 13 beschrieben war: »Ein Schüler, der ein Mitglied des Rates misshandelt oder einem Mitglied des Rates gegenüber zu Gewalt greift, wird unverzüglich von der Schule verwiesen.«
Arrest war also eine hervorragende Lösung. Möglicherweise sollte er sich ein wenig darüber beklagen, damit sie auch in Zukunft dabei blieben. Nein, das wäre ein unnötiges Risiko.
»Hast du das Urteil verstanden?«, fragte der Vorsitzende.
»Ja, natürlich.«
»Erhebst du irgendeinen Einspruch?«
»Nein.«
»Gut. Dann können wir zum nächsten Punkt übergehen. Will die Anklage bitte den Fall des verbotenen Rauchens vortragen?«
Der Vizepräfekt blätterte ein wenig in seinen Unterlagen, damit es professioneller aussah, dann »fand« er die Notiz über Eriks und Pierres Mundwassergeruch. Erik und Pierre waren also aus dem Wald gekommen und hatten nach Vademecum gerochen, obwohl das Essen noch keine zwanzig Minuten her war. Daraus ergab sich zwingend, dass sie beide geraucht und danach die Mundhöhle mit Vademecum ausgespült hatten, um ihr Vergehen zu tarnen. Erik war bereits einmal wegen Rauchens verurteilt worden und musste deshalb als Raucher gelten. Pierre Tanguy aus derselben Klasse war nicht vorbestraft, aber man durfte wohl annehmen, dass Erik Tanguy zu dem Vergehen angestiftet hatte.
Hatte Erik dazu irgendetwas zu sagen?
»Ja,
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