Evil - Das Böse
um seinen Unterleib vor einem Knie oder einem linken Haken zu schützen, während er zugleich die Hände sinken ließ, um Silverhielm zu einem weiteren Versuch herauszufordern. Silverhielm zögerte einen Augenblick und wollte einen Schlag vortäuschen, doch da seinen Augen anzusehen war, dass er ihn nicht wirklich ausführen wollte, bewegte Erik sich nicht. Der Trick war einfach zu schlicht -einen Schlag andeuten, damit der Gegner die falschen Abwehrmaßnahmen ergreift.
»Verschwinde aus dem Speisesaal!«, fauchte Silverhielm und zeigte mit einer Geste, die bestimmt im ganzen Saal zu sehen war, auf die Tür.
Erik beschloss, alles auf eine Karte zu setzen.
Spöttisch lächelnd drehte er sich um, schob langsam seinen Stuhl zurecht, setzte sich, hob Messer und Gabel und schnitt sich langsam ein Stück Rinderbraten ab (er durfte die Gabel nicht in den Mund stecken, für den Fall, dass Silverhielm ihn von hinten schlug), und während er an dem Braten säbelte, sagte er etwas zu seinem Gegenüber, damit er wie beiläufig vom Teller aufschauen und dabei ein unbeschwertes Gesicht machen konnte (wenn Silverhielm von hinten zuschlagen wollte, dann würde das in den Augen des Jungen gegenüber zu sehen sein).
Doch Silverhielm schlug nicht - also war Erik dieses Risiko nicht umsonst eingegangen -, er war dumm genug, hinter Eriks Rücken wilde Drohungen auszustoßen. Bei den Drohungen ging es um die Klosternacht.
Und Erik wusste, dass die Gefahr vorüber war und er beruhigt das abgesäbelte Stück Fleisch in den Mund schieben konnte. Silverhielm ging knurrend und drohend zu seinem Platz und setzte sich. Die erste Schlacht war gewonnen.
»Himmel, trabt dieses Silberpferd wieder hektisch durch die Gegend«, sagte Erik und die Mittelschüler ihm gegenüber lachten zögernd.
In ein paar Tagen würde er Silberpferd durch Silberfotze ersetzen. Und wenn er das durchgesetzt hätte, könnte er es noch mit Rotzfotze versuchen. Womöglich würde schon genügend Spott Silverhielms Wahlkampf-Versprechen eines neuen Regimes die Spitze abbrechen. Sicher war das nicht, aber den Versuch war es wert. Im Moment war das allerdings sein kleineres Problem. Das größere war die Klosternacht.
Denn jetzt war Silverhielm zu einer gewaltigen Klosterung gezwungen. Silverhielms Ehre stand auf dem Spiel, er hatte im Wahlkampf schließlich einiges versprochen.
Als sie aus dem Speisesaal strömten, wurde es schon dunkel. Es war ein windiger Abend mit konstant heftigem Regen. Vermutlich würde das Wetter sich während der Nacht nicht mehr ändern.
Einige Gymnasiasten drängten sich auf der Treppe zum Speisesaal an ihm vorbei und redeten scheinbar zufällig über die bevorstehenden Ereignisse.
»Und der rotzfreche Bengel aus der Dreifünf, wisst ihr, was sie mit dem vorhaben?«
»Nein, aber eine Rosskur wird’s auf jeden Fall.«
»Sie haben angeblich Scheiße in einer Tonne gesammelt und … ihr versteht schon …«
Als er aufs Zimmer kam, lag Pierre auf seinem Bett, las in der »Odyssee« und versuchte auszusehen, als sei er total in die Lektüre vertieft.
Erik untersuchte als Erstes das Türschloss. Die Klinke war ein ovaler Drehknopf auf beiden Seiten der Tür. Innen saß der Drehknopf so dicht am Pfosten, dass die Tür blockiert werden konnte, wenn man ein Gesangbuch zwischen Knopf und Türrahmen klemmte. Aber die Schrauben, die das ganze Schloss hielten, saßen außen an der Tür, und einen Schlüssel gab es nicht. Das sah nicht gut aus.
»Hat keinen Sinn«, sagte Pierre, ohne von seinem Buch aufzublicken, »wenn die einen Schraubenzieher mitbringen, können sie das Schloss von außen ausbauen, und dann hilft auch kein Gesangbuch, dann hilft nicht mal die Bibel.«
Das war eine durchaus zutreffende Beobachtung.
»Glaubst du, wir könnten die Tür zunageln?«, fragte Erik.
»Nein, dann brechen sie sie auf und du musst die neue Tür bezahlen, das hat schon mal jemand versucht.«
Pierre versteckte sein Gesicht hinter dem Buch und gab immer noch vor zu lesen. Erik setzte sich zu ihm aufs Bett.
»Runter mit dem Buch, Pierre, wir müssen darüber reden. Erstens, wann fängt die Klosternacht an, zweitens, wann kommen sie und wie viele sind sie?«
Pierre legte langsam das Buch auf die Tagesdecke. Seine Augen glänzten, fast so, als habe er geweint.
»Die Nacht fängt um halb zehn an, wenn das Licht gelöscht worden ist. Sie können jederzeit zwischen halb zehn und vier Uhr morgens kommen. Und es kommt immer der gesamte Rat auf einmal, zwölf
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