Evil
alles klang irgendwie falsch. Was sagte man zu jemandem, der gerade seine halbe Familie verloren hatte? Die Sache stand wie ein Berg vor mir, den ich nicht bezwingen konnte. Also ging ich ihr aus dem Weg.
Dann machten meine Eltern und ich unseren jährlichen Pflichtbesuch bei der Schwester meines Vaters in Sussex County, und ich musste vier ganze Tage nicht mehr über die Sache nachdenken. Es war fast eine Erleichterung. Ich sage fast, weil meine Eltern damals nur noch knapp zwei Jahre vor ihrer Scheidung standen. Die Reise war grauenhaft: drei Tage angespanntes Schweigen im Auto auf der Hin- und Rückfahrt und dazwischen reichlich verlogene Vergnügtheit aus Rücksicht auf meine Tante und meinen Onkel, die das Ganze überhaupt nicht komisch fanden. Immer wieder schauten sie sich an, als wollten sie sagen, mein Gott, wann verschwinden die endlich wieder.
Sie wussten es. Alle wussten es. Meine Eltern hätten damals nicht einmal mehr vor einem Blinden Pennys verstecken können.
Zu Hause dann ging es wieder weiter mit dem Kopfzerbrechen über Meg. Ich weiß nicht, warum ich nie auf die Idee kam, die Sache einfach zu vergessen. Vielleicht wollte sie gar nicht an den Tod ihrer Eltern erinnert werden. Aber darauf kam ich nicht. Ich bildete mir ein, dass man irgendetwas sagen musste, doch das Richtige fiel mir nicht ein. Es war wichtig für mich, dass ich mich in diesem Punkt nicht blamierte. Es war wichtig für mich, dass ich mich nicht vor Meg blamierte.
Auch Susan beschäftigte mich. Inzwischen waren fast zwei Wochen vergangen, und ich hatte sie noch kein einziges Mal gesehen. Das widersprach allen meinen Erfahrungen. Wie konnte man nebenan von jemand wohnen und ihn nie zu Gesicht bekommen? Ich dachte an ihre Beine und die schlimmen Narben, von denen Donny geredet hatte. Vielleicht hatte sie Angst, aus dem Haus zu gehen. Das leuchtete mir ein. Ich war selbst in letzter Zeit viel drinnen geblieben, um ihrer Schwester nicht zu begegnen.
Doch das konnte nicht so weitergehen. Inzwischen war die erste Juniwoche gekommen. Der Kiwanis Karnival, unser Jahrmarkt, stand vor der Tür.
Den Karnival zu verpassen hätte geheißen, den ganzen Sommer zu verpassen.
Nicht weit von uns auf der anderen Straßenseite stand ein altes Schulhaus mit sechs Zimmern, die Central School, in die wir alle von der ersten bis zur fünften Klasse gegangen waren. Dort im Schulhof fand jedes Jahr der Karnival statt. Seit wir groß genug waren, um allein die Straße zu überqueren, liefen wir immer rüber, um ihnen beim Aufbauen zuzuschauen.
Wir saßen direkt an der Quelle, und eine Woche lang beneideten uns alle Kinder in der Stadt.
Nur die Marktstände wurden von Kiwaniern betrieben – die Fressbuden, die Spieleschuppen, die Glücksräder. Für die Fahrgeschäfte waren nur professionelle Wandergruppen zuständig. Diese Schausteller übten einen exotischen Zauber auf uns Kinder aus. Derb aussehende Männer und Frauen, die mit einer Camel zwischen den Zähnen arbeiteten und zwinkerten, weil ihnen der Rauch in die Augen stieg, die Tätowierungen, Schwielen und Narben hatten und nach Schmieröl und Schweiß rochen. Sie fluchten und tranken Schlitz-Bier, während sie schufteten. Und wie wir hatten sie nichts dagegen, auch mal einen Lungenhering in den Dreck zu spucken.
Wir liebten den Karnival, und wir liebten die Schausteller. Das ging gar nicht anders. An einem einzigen Nachmittag machten sie aus dem Schulhof mit seinen zwei Baseballfeldern, dem Asphaltbelag und den beiden Fußballtoren eine brandneue Stadt aus Segeltuch und wirbelndem Stahl. Sie waren so schnell, dass man kaum seinen Augen trauen konnte. Es war reine Magie, und die Zauberer ließen lächelnd ihre Goldzähne blitzen und hatten sich »I love Velma« auf den Bizeps gestanzt. Einfach unwiderstehlich.
Es war noch ziemlich früh, als ich hinüberging, und sie waren gerade erst beim Entladen der Lastwagen.
Da konnte man nicht mit ihnen reden. Sie waren zu beschäftigt. Später beim Aufbauen oder beim Ausprobieren der Maschinen konnte man ihnen Werkzeug reichen oder bekam vielleicht sogar einen Schluck Bier von ihnen. Von den Kindern lebten sie schließlich. Sie wollten, dass wir am Abend mit Freunden und Verwandten wiederkamen, und deshalb waren sie normalerweise nett zu uns. Doch beim Ausladen musste man aufpassen und durfte ihnen nicht in die Quere kommen.
Cheryl und Denise waren schon da. Sie lehnten am Fangzaun hinter dem Schlagmal und starrten durch die Maschen.
Ich
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