Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evil

Evil

Titel: Evil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
der Couch aus zusah. Abgesehen vom Fernseher war es dunkel im ganzen Haus, und ich war müde, sehr müde – und dann änderte sich alles, und ich war plötzlich direkt bei dem Kampf, am Ring, um mich herum jubelten die Leute, und Sugar Ray ging in seiner typischen Art auf den Kerl los, kompromisslos wie ein Panzer. Es war aufregend.
    Ich feuerte Sugar Ray an und schaute mich nach meinem Vater um, um zu sehen, ob er ihn auch anfeuerte, doch er war immer noch in tiefen Schlaf versunken und rutschte langsam Richtung Boden. »Wach auf«, sagte meine Mutter und stupste ihn. Wahrscheinlich war sie schon die ganze Zeit da gewesen, auch wenn ich sie nicht bemerkt hatte. »Wach auf.«
    Aber er wachte nicht auf. Ich wandte den Blick wieder dem Kampf zu, doch statt Sugar Ray stand nun Meg im Ring, Meg, wie ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals unten am Bach, in Shorts und einer hellen ärmellosen Bluse, und ihr Pferdeschwanz wippte rot wie eine Flamme hin und her, während sie auf den Typ einhämmerte. Jubelnd stand ich auf, schreiend.
    »Meg! Meg! Meg!«
    Dann wachte ich weinend auf. Mein Kissen war tränennass.
    Ich war ganz verwirrt. Warum hatte ich denn geweint? Ich fühlte doch gar nichts.
    Ich ging in das Zimmer meiner Eltern.
    Sie hatten getrennte Betten. Schon seit Jahren. Wie in meinem Traum schnarchte mein Vater. Meine Mutter schlief still neben ihm.
    Ich trat ans Bett meiner Mutter und schaute sie an, eine zierliche, dunkelhaarige Frau, die in diesem Augenblick jünger aussah, als ich sie jemals gesehen zu haben glaubte.
    Muffig und schwer stand der Atemgeruch meiner Eltern im Zimmer.
    Ich wollte meine Mutter aufwecken. Ich wollte es ihr sagen. Alles.
    Sie war die Einzige, der ich es sagen konnte.
    »Mom?« Ich hatte sehr leise gesprochen, weil ich immer noch zu viel Angst hatte oder sie nicht stören wollte. Tränen rollten mir über die Wangen. Meine Nase lief. Ich schniefte. Das Schniefen kam mir lauter vor als meine Stimme.
    »Mom?«
    Mit einem leisen Ächzen drehte sie sich.
    Beim nächsten Mal würde sie bestimmt aufwachen.
    Und dann dachte ich an Meg, wie sie in der langen, dunklen Nacht allein im Bunker lag. Voller Schmerzen.
    Dann erinnerte ich mich an den Traum.
    Etwas packte mich.
    Ich bekam keine Luft mehr. Ein schwindelerregendes Grauen stieg in mir hoch.
    Alles um mich herum wurde schwarz. Ich spürte, wie ich auseinander fiel.
    Und ich sah meine Mitschuld.
    Meinen dumpfen, fahrlässigen Verrat.
    Mein Vergehen.
    Ein Schluchzen brandete heran, riesig und unwillkürlich wie ein Schrei. Es fühlte sich an wie ein Schrei. Die Hand vor den Mund geschlagen, rannte ich stolpernd aus dem Zimmer und sank vor der Tür in die Knie. Zitternd und weinend hockte ich da. Die Tränen wollten nicht aufhören.
     
    Lange saß ich so.
    Sie wachten nicht auf.
    Als ich endlich aufstand, war es schon fast Morgen.
    Ich ging in mein Zimmer. Vom Bett aus sah ich durch das Fenster zu, wie die Nacht zuerst tiefschwarz wurde und sich dann allmählich zu einem dunklen Blau lichtete.
    In mir kreisten die Gedanken wie schwirrende Schwalben vor einem Gewitter.
    Ich setzte mich auf und kam wieder ganz zu mir. Ruhig betrachtete ich den Sonnenaufgang.
     

36
    Es war gut, dass wenigstens die anderen fürs Erste ausgeschlossen waren. Ich musste unbedingt mit Meg reden. Sie überzeugen, dass ich ihr endlich helfen wollte.
    Ich musste sie dazu bringen wegzulaufen, ob mit oder ohne Susan. Ich konnte mir sowieso nicht vorstellen, dass Susan in großer Gefahr war. Bis auf die eine oder andere Tracht Prügel war ihr bisher nichts passiert, zumindest nicht meines Wissens. Meg war diejenige, die in der Klemme saß. Das sollte sie inzwischen auch gemerkt haben, dachte ich.
    Es war sowohl leichter als auch schwerer als erwartet.
    Schwerer, weil ich herausfand, dass ich ebenfalls ausgeschlossen war.
    »Mom will niemanden im Haus haben«, erklärte Donny. Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs zum Schwimmbad, zum ersten Mal seit Wochen. Es war heiß und windstill, und schon drei Blocks nach unserer Straße schwitzten wir.
    »Wieso denn? Ich hab doch nichts gemacht. Wieso ich?«
    Es ging ein Stück bergab, und wir ließen es eine Weile rollen.
    »Das ist es nicht. Hast du das von Tony Morino gehört?«
    »Was?«
    »Er hat es seiner Mutter gesagt.«
    »Was?«
    »Ja. Der kleine Scheißer. Sein Bruder Lou hat es uns gesteckt. Ich meine, nicht alles. Er konnte ihr ja gar nicht alles erzählen. Aber genug. Hat ihr verraten, dass wir Meg unten im

Weitere Kostenlose Bücher