Evolution, Zivilisation und Verschwendung
(Lenzen 2003: 55; Vollmer 1987: 147). Man könnte Darwin deshalb durchaus auch als Lamarckisten bezeichnen.
Erst August Friedrich Weismann stellte die These auf, dass Keimzellen und Körperzellen schon frühzeitig während des Wachstums (Ontogenese) eines Organismus getrennt werden, so dass eine unmittelbare reproduktive Weitergabe von Lebenserfahrungen an die nächste Generation ausgeschlossen ist. Mit Weismann begann der
Neodarwinismus
, der auf der Darwinschen Lehre basiert, zusätzlich aber auch noch die Weitergabe erworbener Eigenschaften an die Nachkommen kategorisch ausschließt.
Seitdem werden Evolutionstheorien, die die Vererbung erworbener Eigenschaften erlauben, als
lamarckistisch
, im umgekehrten Fall als
darwinistisch
bezeichnet.
In den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Neodarwinismus dann um die neuesten Erkenntnisse der auf Gregor Johann Mendel zurückgehenden Vererbungslehre erweitert und zur Synthetischen Evolutionstheorie ausgebaut. Wesentliche Kernaussagen waren nun (Lenzen 2003: 63):
Populationen bestehen aus Individuen, die sich allesamt genetisch voneinander unterscheiden.
Die genetische Variation der Population bleibt durch zufällige Mutationen und Rekombinationen (im Rahmen der sexuellen Fortpflanzung) erhalten.
Populationen unterliegen der Selektion (natürlichen Auslese). Diese wirkt den zufälligen Mutationen und Rekombinationen entgegen, indem sie die „geeignetsten“ Variationen selektiert.
Bei der genetischen Weiterentwicklung ist die Natur folglich auf ein Versuch-und-Irrtum-Verfahren (Trial and Error) angewiesen, das heißt, sie operiert blind. Richard Dawkins sprach deswegen auch bereits vom „blinden Uhrmacher“ Natur (Dawkins 2008), die im Grunde nur darauf hoffen kann, dass sich die Individuen gemäß dem Prinzip der natürlichen Selektion fortpflanzen, so dass der Anteil der an die aktuellen Lebensraumbedingungen besonders gut angepassten Individuen in der nächsten Generation eher zunimmt. Gleichzeitig kann sie versuchen, mittels Mutationen und genetischen Rekombinationen noch hier und da einen echten Glückstreffer zu landen. Aber sie kann nicht ganz gezielt in eine Richtung hin entwickeln, da sie keinen Zugriff auf die Erfahrungen der Individuen im Umgang mit dem Lebensraum hat.
Dies sieht beispielsweise bei der technischen Evolution ganz anders aus, denn Unternehmen können aus der Marktakzeptanz ihrer bisherigen Produkte lernen und diese dann auch tatsächlich verbessern. Ein Intel Core 2 Duo ist nicht einfach nur anders als ein Intel Pentium Prozessor, sondern er ist schlicht und ergreifend besser.
Oft wird darauf hingewiesen, dass lernende Systeme mit erworbenen Strukturen flexibler und in der Selbstbehauptung anderen Systemen überlegen sind, weswegen sie von der Selektion begünstigt werden (Vollmer 1994: 70). Beim Menschen ist nun aber etwas ganz Außerordentliches geschehen, denn dieser ist ja nicht nur besonders lernfähig und flexibel im Vergleich zu anderen biologischen Spezies, sondern darüberhinaus auch noch kulturfähig, worin er sich in der Natur auszeichnet (Dawkins 2007: 316).
Der Mensch ist nun also in der Lage, auf den Erfahrungen aller Vorfahren aufzubauen. Dabei kann er dann oftmals seine Adaption an den Lebensraum selbst dann noch verbessern, wenn auf der genetischen Seite eher eine Schwächung stattgefunden hat. Beispielsweise würde ein kurzsichtiges Lebewesen in der freien Natur kaum überlebensfähig sein. Für heutige Menschen stellt so etwas aber kein nennenswertes Problem mehr dar, weil andere schon längst eine technische Lösung – die Brille – dafür gefunden haben. Man muss also lediglich die von anderen gemachten Erkenntnisse anwenden. Eventuell kann man dann selbst dazu beitragen, diese noch weiter zu verbessern.
Mit der Kulturfähigkeit des Menschen hat die Evolution folglich so etwas wie Augen bekommen. Sie muss nun nicht länger alles mehr oder weniger dem Zufall überlassen, sondern kann aktiv an der Verbesserung von Adaptionen arbeiten. Zurzeit ist diese Möglichkeit noch vorrangig auf den kulturellen Teil der Evolution beschränkt, aber es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch direkte Manipulationen am genetischen Code an der Tagesordnung sind (Schirrmacher 2001).
Erstaunlicherweise ist nun aber die Blindheit der Weiterentwicklung für viele Evolutionstheoretiker ein geradezu zwingendes Merkmal von Evolutionsprozessen (Thagard 1993: 103ff.). Dies lässt sich beispielsweise auch
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