Evolution, Zivilisation und Verschwendung
die soziale Arbeitsteilung deshalb stets in Kombination mit einer sexuellen Arbeitsteilung auf, weil sich erst hierdurch soziale Arbeit und Evolutionsprinzipien miteinander vereinbaren lassen.
Dabei haben sich insbesondere zwei verschiedene Modelle durchgesetzt:
Modell Mensch
Die soziale Arbeitsteilung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Männchen, die im Gegenzug kaum etwas mit der Reproduktionsarbeit zu tun haben. Diese ist dann in erster Linie die Aufgabe der Weibchen.
Modell Insekten
Die soziale Arbeitsteilung beschränkt sich im Wesentlichen auf arbeitsame Weibchen (und gegebenenfalls auch auf die Männchen), die im Gegenzug kaum etwas mit der Reproduktionsarbeit zu tun haben. Die Fortpflanzung ist dann vor allem die Aufgabe darauf spezialisierter Weibchen.
Ein entsprechendes Modell ist bei den Ameisen implementiert: Die verschiedenen sozialen Arbeiten werden von unfruchtbaren Weibchen (Arbeiterinnen) ausgeübt, während die Männchen lediglich der Befruchtung der Königinnen dienen, und wiederum nur die können sich fortpflanzen. Vor dem Zugang zu den Königinnen müssen sich die Männchen bewähren, und zwar entweder durch Ausscheidungskämpfe oder durch sexuelle Selektion.
In meinen Büchern „
Land ohne Kinder
“, „
Die Familienmanagerin
“, „
Hurra, wir werden Unterschicht!
“ und „
Familie als Beruf
“ (Mersch 2006b; Mersch 2006a; Mersch 2007a; Mersch 2008) und zum Teil auch im Kapitel
Demographischer Wandel
auf Seite → wird prognostiziert, dass sich das menschliche Modell unter den Rahmenbedingungen der Gleichberechtigung der Geschlechter und der heute üblichen niedrigen Sterblichkeit in manchen Aspekten strukturell an das Modell der sozialen Insekten angleichen könnte (verstärkte reproduktive Arbeitsteilung unter Frauen).
Soziale Gemeinschaften scheinen in der Natur also bereits dann entstehen und sich auch halten zu können, wenn die darin verrichteten sozialen Arbeiten nicht zu einer Reduzierung der persönlichen Fortpflanzungschancen beziehungsweise Reproduktionsinteressen führen, die Zusammenarbeit aber noch weitere Vorteile bietet. Die Ameisenarbeiterinnen stellen sozusagen den Grenzfall dieser Regel dar: Ihr persönlicher potenzieller Fortpflanzungserfolg ist nämlich gleich Null. Kooperative oder altruistische Handlungen können ihre Fortpflanzungschancen folglich nicht weiter mindern. Allerdings können die Arbeiterinnen auf diese Weise für eine stärkere Weitergabe ihrer Gene an die nächste Generation sorgen, und zwar selbst dann, wenn sie – wie etwa bei den Bienen – nur relativ schwach mit den anderen Töchtern der Königinnen verwandt sind. Die folgenden Ausführungen zum Altruismus werden diesen Gesichtspunkt noch weiter vertiefen.
Sexualität erzeugt neue Interaktionsweisen
Bei vielen biologischen Arten ist mit der Sexualität auch die Gefallenwollen-Kommunikation gekommen (siehe Abschnitt
Gefallen-wollenKommunikation
auf Seite → ), die nicht nur eine Vielfalt an neuen Lebensformen erzeugt hat, sondern auch ganz neue Formen des gemeinsamen Zusammenlebens und der Interaktion ermöglichte. Mit der Gefallen-wollenKommunikation ist der gegenseitige Respekt (die Zivilisation) in die Welt gekommen. Davor ging es nur um
fressen oder gefressen werden
. Ein Gefallen-wollen innerhalb der gleichen Population scheint ohne Sexualität und Getrenntgeschlechtlichkeit kaum vorstellbar zu sein. Allerdings kann dies artenübergreifend im Einzelfall durchaus anders aussehen. Beispielsweise könnte eine Baumsorte besonders schmackhafte Früchte entwickeln, damit deren Kerne durch Nutznießer möglichst weit verstreut werden.
Betrachten wir zunächst eine Population aus lauter Hermaphroditen (Zwittern). Auch hier könnten die einzelnen Individuen ihre potenziellen Fortpflanzungspartner vor einer Paarung auf Fitness testen, zum Beispiel, indem sie mit ihnen kämpfen oder tanzen. Allerdings wäre ein solches Verfahren äußerst ineffizient, da jeder Test die eigene Fitness und die des potenziellen Partners reduziert. Energetisch günstiger und auch unverbindlicher ist da schon die Begutachtung fälschungssicherer Fitnessindikatoren. Fälschungssicher ist ein Fitnesssignal aber nur, wenn zu seiner Hervorbringung tatsächlich eine entsprechend hohe Fitness erforderlich ist (Miller 2001: 145). Doch dann entsteht unmittelbar das folgende Dilemma: Hat etwa ein hermaphroditischer Pfau enorme Energiemengen in sein Fitnesssignal investiert, stünde ihm weniger Energie zur Aufzucht seiner
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