Evolution, Zivilisation und Verschwendung
heißt ihre Organisation.
Lebende Systeme lassen sich dementsprechend wie folgt charakterisieren (Maturana 1985: 280):
Das gegenwärtige biochemische Wissen erlaubt es uns, lebende Systeme als sich selbst erzeugende Systeme zu bezeichnen, die ihre eigenen Grenzen bestimmen und aufbauen. Dies lässt sich formal so ausdrücken: Es gibt eine Klasse mechanistischer Systeme; jedes Element dieser Klasse ist ein dynamisches System, das als Netzwerk von Prozessen der Produktion seiner eigenen Bestandteile definiert ist; diese Bestandteile wirken zum einen durch ihre Interaktion in rekursiver Weise an der ständigen Erzeugung und Verwirklichung eben dieses Netzwerkes von Prozessen der Produktion mit, das sie selbst produziert hat, und konstruieren zum anderen dieses Netzwerk von Prozessen der Produktion von Bestandteilen als eine Einheit in einem Raum, den sie (die Bestandteile) dadurch definieren, dass sie seine Grenzen verwirklichen.
Solche Systeme nenne ich autopoietische Systeme, und die Organisation eines autopoietischen Systems nenne ich eine autopoietische Organisation. Ein autopoietisches System, das durch physikalische Bestandteile verwirklicht wird, ist ein lebendes System.
Der autopoietische Ansatz vermeidet es, Lebewesen durch das Aufzählen von möglicherweise ständig zu ergänzenden Eigenschaften und Beziehungen zu beschreiben (Maturana/Varela 1990: 56).
Ein wesentliches Merkmal autopoietischer Systeme ist, dass bei ihnen Produkt und Produzent zusammenfallen (Maturana/Varela 1990: 56):
Dass Lebewesen eine Organisation haben, ist natürlich nicht allein ihnen eigen. Es ist allen Gebilden gemeinsam, die wir als Systeme betrachten können. Dennoch ist den Lebewesen eigentümlich, dass das einzige Produkt ihrer Organisation sie selbst sind, das heißt, es gibt keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis. Das Sein und das Tun einer autopoietischen Einheit sind untrennbar, und dies bildet ihre spezifische Art von Organisation.
Der Begriff der Autopoiesis steht in enger Verbindung zum Begriff der Autonomie (Maturana/Varela 1990: 55) 38 :
Wir verwenden den Begriff Autonomie in seiner üblichen Bedeutung. Das heißt, ein System ist autonom, wenn es dazu fähig ist, seine eigene Gesetzlichkeit beziehungsweise das ihm Eigene zu spezifizieren. Wir schlagen nicht vor, anzunehmen, dass Lebewesen die einzigen autonomen Wesen sind; sie sind es sicherlich nicht. Es ist aber evident, dass seine Autonomie einer der unmittelbarsten Aspekte eines Lebewesens ist. Nach unserer Ansicht ist deshalb der Mechanismus, der Lebewesen zu autonomen Systemen macht, die Autopoiese (…).
Ein besonders prägnantes Beispiel eines autopoietischen Systems (einer
autopoietischen Einheit
) ist die Zelle, denn sie (Rigas/Vetter: 1990, 329)
produziert als arbeitsteiliges Netzwerk die spezifischen Bestandteile (komplexe organische Moleküle), aus denen sie besteht. Gleichzeitig ermöglichen die Zellbestandteile erst die Existenz des durch eine ‚Grenze’ (die Zellmembran) von der Umwelt abgegrenzten Produktionsnetzwerks. Alle Prozesse im Zellinneren sind auf die Selbsterzeugung und Existenzerhaltung der Zelle hin ausgerichtet, also auf die Fortdauer der Autopoiese. Die Zelle hat eine starke Eigendynamik, denn die im Zellinneren ablaufenden Prozesse sind durch die Interaktionen der Elemente untereinander bedingt (= Rekursivität) Umwelteinwirkungen stören (‚perturbieren’) die Zelle lediglich und führen zu Ausgleichsreaktionen. Das Milieu (Umwelt) benötigen Lebewesen, um Nahrung bzw. Energie aufzunehmen beziehungsweise um Abfallstoffe in die Umwelt abzugeben, aber sie passen sich nicht an sie an.
Wir können das bisher Gesagte wie folgt zusammenfassen:
Autopoietische Systeme sind sich
selbst erzeugende
und sich
selbst erhaltende
Einheiten.
Sie bestehen aus einem rekursiven Netzwerk interagierender Komponenten. Diese Komponenten produzieren durch ihre Interaktion dasselbe Netzwerk.
Autopoietische Systeme sind operationell geschlossen und damit autonom (
operationale Schließung
). Zugleich sind sie materiell und energetisch offen (etwa bezüglich der Aufnahme von Nahrung beziehungsweise Energie oder der Abgabe von Abfallstoffen).
Autopoietische Systeme können durch Umwelteinflüsse nicht determiniert, sondern allenfalls irritiert (perturbiert) werden.
Die konkreten Systemzustände werden somit nicht von der Umwelt, sondern vom System selbst bestimmt (
Strukturdeterminiertheit
).
Autopoietische Systeme wollen sich
selbst
Weitere Kostenlose Bücher