Evolution, Zivilisation und Verschwendung
insbesondere auch die Fähigkeit gehören, sich selbst zu beobachten, das heißt, zu operieren und zu beobachten, dass man operiert (Berghaus 2003: 50).
Adolf Heschl fasst den Sachverhalt wie folgt zusammen (Heschl 1998: 55f.):
Sowohl die Erhaltung wie auch die Weitergabe der eigenen physischen Struktur – gemeint ist damit die Summe aller Lebensprozesse eines Lebewesens – setzt (…) eine Eigenschaft voraus, die sich als tatsächlich neuartig in der Geschichte des Kosmos erweist: das Entstehen von Information oder, anders formuliert, das aktive Wissen um das Wie der Erhaltung der eigenen Existenz. Allein diese Eigenschaft kann mit guten Gründen als das ganz besondere Novum des Phänomens Leben angegeben werden, da sie in integrativer Weise alle anderen, klar untergeordneten Eigenschaften mit umfasst. Dies bedeutet, dass erst so etwas wie ein materialistisches Wissen um die eigene Existenz und deren Beziehungen zu einer ebenfallserst entstehenden Umwelt das Wesen von Leben ausmacht. Mit der Entstehung eines lebenden Systems als erstes erkennendes „Subjekt“ wird also gleichzeitig auch das „Objekt“, das heißt also eine bestimmte Umwelt, geschaffen und damit eine der vielleicht erstaunlichsten Beziehungen im Rahmen der gesamten kosmischen Entwicklung. War zuvor nur ein identitätsloses und vollkommen passives Miterleiden physikalischer Ausgleichsprozesse möglich, so zum Beispiel wenn ein Stein einen Abhang hinunterkollerte, so ergibt sich nun plötzlich die vollkommen neuartige Befähigung zum aktiven Sein vor dem Hintergrund einer ebenso plötzlich wie durch ein Wunder aus dem Nichts entstehenden Außenwelt.
Darauf aufbauend schließt Adolf Heschl, dass der Prozess, sich als Subjekt zu erleben, aktiv zu erhalten und gegenüber einer objekthaften Umwelt abzugrenzen, generell mit dem Prozess der Erkenntnis gleichgesetzt werden kann (Heschl 1998: 61):
Der Prozess des Lebens kann nur als identisch mit dem Prozess der Erkenntnis richtig verstanden werden oder für den, der es kurz und bündig liebt: L = E.
Zusammenfassend können wir festhalten:
Lebewesen sind Systeme, die sich gegenüber ihrer Umwelt als Subjekt wahrnehmen und abgrenzen und in diesem Sinne eine
Identität
besitzen.
Lebewesen wollen sich
aktiv
selbsterhalten.
Systeme mit diesen Eigenschaften werden im Laufe des Buches
selbsterhaltende Systeme
genannt (siehe Abschnitt
Selbsterhaltende Systeme
auf Seite → ). Allerdings dürften die aufgeführten Eigenschaften für sich allein noch nicht hinreichend sein, um Systeme tatsächlich als
Lebewesen
zu charakterisieren, denn selbst Unternehmen können mit den gleichen Merkmalen aufwarten. Beispielsweise besitzt Nokia ebenfalls eine eigene Identität, grenzt sich gegenüber seiner Umwelt und insbesondere seinen Konkurrenten ab und versucht sich aktiv auf den Märkten zu behaupten. Dennoch würden die meisten Menschen Unternehmen nicht als Lebewesen bezeichnen. Im Sinne der Definitionen von Maturana und Varela (siehe die folgenden Abschnitte) können sie aber als biologische Phänomene aufgefasst werden. Mit einer präzisen Abgrenzung von Lebewesen gegenüber sonstigen biologischen Phänomenen wie etwa Unternehmen beschäftigt sich der Abschnitt
Was ist Leben?
auf Seite → .
3.3 Autopoietische Systeme
Mit den Begriffen
Autopoiesis
37 und
autopoietisches System
gelang den chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela eine alternative systemtheoretische Definition für das, was lebende Systeme beziehungsweise Lebewesen sind (Simon 2007: 32):
Während bei Selbstorganisationsprozessen, wie sie in computersimulierten, komplexen Systemen oder bei dissipativen Strukturen zu beobachten sind, ein System seine vorgegebenen Elemente zu einer Struktur ordnet (besser gesagt: in dem die Elemente sich zu einer Struktur ordnen), organisieren autopoietische Systeme nicht nur ihre eigenen, internen Strukturen, sondern sie produzieren auch die Elemente, aus denen die Strukturen gebildet werden. Die kritische Variable, die sie konstant erhalten, ist ihre Organisationsform. Die Elemente (zum Beispiel die Zellen des menschlichen Körpers) sterben ab und werden neu gebildet; die Strukturen, bestehend aus Elementen und ihren Relationen zueinander, können sich wandeln (durch Wachstum, Heilungs- und Degenerationsprozesse usw.); was konstant bleibt, ist das (abstrakte) Muster der Prozesse, die dafür sorgen, dass die Elemente reproduziert und in eine bestimmte Relation zueinander gebracht werden, das
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