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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Strukturen, aber sie produzieren nicht zwingend auch die Elemente, aus denen sie bestehen. Die kritische Variable, die sie konstant erhalten, ist ihre Organisationsform. Elemente, von denen stets einige autopoietische (lebende) Systeme sind, können hinzugefügt, ausgetauscht oder entfernt und auf diese Weise reproduziert werden; die Strukturen, bestehend aus Elementen und ihren Relationen zueinander, können sich wandeln; was konstant bleibt, ist das (abstrakte) Muster der Prozesse, die dafür sorgen, dass die Elemente reproduziert und in eine bestimmte Relation zueinander gebracht werden, das heißt ihre Organisation.
    Die beiden Definitionen mögen kompliziert klingen, besagen aber im Grunde etwas sehr Einfaches: Ein menschlicher Organismus ist ein
autopoietisches System
, welches nicht nur seine Organisation selbst erzeugt, sondern dazu auch noch alle seine Elemente (Zellen). Ein Unternehmen ist dagegen nur ein
selbsterhaltendes System
, welches zwar ebenfalls seine Organisation selbst kreiert, seine Elemente (Mitarbeiter) dagegen nicht. Diese werden lediglich vertraglich an sich gebunden (siehe dazu den Abschnitt
Systembindungen
auf Seite → ). Beide Systemtypen sind
autonom
(sieoperieren selbstbestimmt), haben eine
Identität
und besitzen ein eigenständiges
Selbsterhaltungsinteresse
(sie wollen fortbestehen). Ein autopoietisches System ist folglich immer auch ein selbsterhaltendes System.
    Einige Subelemente eines selbsterhaltenden Systems müssen gemäß der obigen Definition lebende (autopoietische) Systeme sein, denn die Autonomie und das daraus resultierende Selbsterhaltungsinteresse des Systems bedürfen ja eines Fundaments. Beispielsweise müssen in einem Unternehmen irgendwo noch immer Menschen sein, die ihre Intentionen einbringen und sich für ihre Interessen stark machen, sonst wird das System stets ein lebloser Maschinenpark bleiben.
    Gemäß Maturana und Varela handelt es sich bei selbsterhaltenden Systemen um biologische Phänomene (Maturana/Varela 1990: 60):
    Wenn dem so ist, dass die autopoietische Organisation die biologische Phänomenologie als Verwirklichung des Lebewesens als autonome Einheiten determiniert, dann ist jedes Phänomen ein biologisches Phänomen, welches die Autopoiese mindestens eines Lebewesens einbezieht.
    Dies hat recht interessante Konsequenzen. Denn im weiteren Verlauf des vorliegenden Buches werden Organisationssysteme und Gesellschaften als selbsterhaltende Systeme und darauf aufbauend die technische Evolution als ein begleitender Aspekt der Evolution von Organisationssystemen beschrieben. Mit anderen Worten: Auch Unternehmen, Technologien und Gesellschaften lassen sich letztlich als biologische Erscheinungen interpretieren. Demzufolge würde es sich bei der Soziologie um eine naturwissenschaftliche Disziplin handeln. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll: Alles andere würde mich auch überraschen, denn selbstverständlich haben sich menschliche Gesellschaften und Technologien evolutionär aus der Natur heraus entwickelt, sind also im strengen Sinne Teil der Natur.
    In vielen der noch folgenden Betrachtungen wird es sich als günstiger erweisen, selbsterhaltende Systeme über bestimmte charakteristische Eigenschaften zu beschreiben, anstatt darüber, wie sie innerlich operieren und sich konstruieren. Im Vordergrund werden dabei die folgenden Merkmale stehen:
Eigenschaften selbsterhaltender Systeme:
Ein selbsterhaltendes System besitzt eine eigene Identität und damit ein eigenständiges Selbsterhaltungsinteresse.
Ein selbsterhaltendes System grenzt sich gegenüber seiner Umwelt ab (System/Umwelt-Differenz) und besitzt ihr gegenüber eigenständige Kompetenzen (das heißt, es ist gegenüber seinem Milieu in einer bestimmten Weise angepasst). Aufgrund seines Selbsterhaltungsinteresses ist es bestrebt, seine Kompetenzen mindestens zu erhalten. Das Gleiche gilt für seine inneren Strukturen.
    Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der leicht übersehen werden kann. Es geht hierbei um die Frage, wie in Populationen aus lauter selbsterhaltenden Systemen neue Variation entstehen kann. Dazu muss ich allerdings im Text ein wenig vorgreifen, da Sie möglicherweise sonst bereits die Fragestellung nicht verstehen.
    Ich werde im Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite → eine Evolutionstheorie vorstellen, die ohne das Prinzip der natürlichen Auslese auskommt, und mit der sich biologische, kulturelle, soziale, wissenschaftliche und technische

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