Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Einsatz kommenden Reproduktionsprozesse nun in den jeweiligen Abschnitten nicht jedes Mal wieder aufs Neue im Detail beschrieben werden müssen, da dies ja bereits hier an zentraler Stelle erfolgte.
3.6 Soziale Systeme
Moderne soziale Systeme wie Unternehmen (Organisationssysteme) sind das Ergebnis der enormen menschlichen Kooperationsfähigkeit, des Aufkommens von Märkten mit Tauschäquivalenten als deren primäre selektive Umwelt, des Zugriffs auf große Mengen an Energie und der allgemeinen technologischen Entwicklung. Bei Organisationssystemen handelt es sich um neuartige biologische Phänomene von zum Teil geradezu ungeheuerlicher Potenz. Sie stellen mit ihrem Ressourcenreichtum, ihren Kompetenzen und ihrer schieren Macht alles in den Schatten, was an biologischen Phänomenen je auf der Erde existiert hat. Möglicherweise sind sie dem Menschen längst entwachsen.
Dabei handelt es sich bei ihnen um eine recht neue Entwicklung. Im Prinzip sind sie das Charakteristikum der Moderne schlechthin. Sie sollen deshalb in diesem Abschnitt etwas eingehender untersucht werden.
Gemäß den Ausführungen im Abschnitt
Leben und Fortpflanzung
auf Seite → sind Lebewesen entropiearme Systeme, die danach streben, den unwahrscheinlichen Zustand hoher Ordnung in ihrem Inneren aufrecht zu erhalten. Ferner wollen sie sich in der Regel reproduzieren – sie sind ja auch durch Fortpflanzung entstanden. Anders gesagt: Lebewesen geht es primär um Selbsterhalt und Fortpflanzung (Maturana/Varela 1990: 129):
Genau so sind wir alle entstanden, ohne einem anderen Gesetz zu folgen, als dem der Erhaltung einer Identität und der Fähigkeit zur Fortpflanzung.
Oder noch etwas präziser formuliert (Schmidt-Salomon 2006: 17) 46 :
„Leben“ lässt sich definieren als ein auf dem „Prinzip Eigennutz“ basierender Prozess der Selbstorganisation. Alle Organismen (…) verdanken ihre Existenz dem eigennützigen Streben ihrer Vorfahren nach Vorteilen im Kampf um Ressourcen und (…) Fortpflanzungserfolg.
Nun besitzt aber selbst das Sonnensystem eine spezifische innere Ordnung, das heißt, es stellt gleichfalls – in Relation zu seiner Umgebung – einen entropiearmen Zustand dar. Wie bereits im Abschnitt
Leben als Prozess des Erkennens
auf Seite → erläutert wurde, beruht die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in diesem Falle jedoch – anders als bei Lebewesen – nicht auf einem eigenen Subjektempfinden (Identität) und einem wie auch immer gearteten Selbsterhaltungsinteresse 47 , sondern auf physikalischen Gesetzen, in deren Rahmen Störungen von außen passiv ertragen werden, während Lebewesen auf Perturbationen üblicherweise mit aktiven Gegensteuerungsmaßnahmen reagieren. Über vergleichbare, aktive und intelligente Reaktionsmöglichkeiten verfügen Planetensysteme nicht.
Im letzten Abschnitt wurde gezeigt, dass bei Populationen – und sozialen Systemen generell – Selbsterhalt und Reproduktion im Wesentlichen das Gleiche meinen und somit funktional zusammenfallen. Solchen Systemen geht es also nicht mehr um die Fortpflanzung, sondern nur noch um den Selbsterhalt, das heißt um die fortlaufende Erhaltung der eigenen Identität, Struktur und Kompetenzen. Alle anderen Zwecke sind demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Dies gilt insbesondere auch für Organisationen, zum Beispiel Unternehmen (Simon 2007a: 29f.):
Überträgt man dieses Bild auf Organisationen, so zeigt sich, dass irgendwelche sachlichen Ziele gegenüber dem reinen Selbsterhalt des Systems sekundär sind. Das macht die Organisation als Typus des sozialen Systems in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen so vielfältig verwendbar. (…) Hinzu kommt, dass an ihrem Zustandekommen und Erhalt eine größere Zahl an Akteuren beteiligt ist, die dies aufgrund ihrer eigenen, spezifischen Zwecke tun. Daher ist die Idee eines gemeinsamen, alle Beteiligten vereinigenden Ziels illusorisch.
Wir können somit festhalten:
Organisationssysteme besitzen eine eigene Identität (und haben einen Namen).
Organisationssystemen geht es primär um den eigenen Selbsterhalt.
Organisationssysteme setzen sich aus irgendwelchen Akteuren zusammen, denen es wiederum vor allem um den eigenen Selbsterhalt geht.
Stellt etwa ein Unternehmen einen neuen Mitarbeiter ein, so interessiert es sich in aller Regel primär für dessen
Kompetenzen
(Humankapital). Dementsprechend hat es an ihn bestimmte
Erwartungen
. Umgekehrt bringt sich der Mitarbeiter in das Unternehmen mit seinen
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