Evolution, Zivilisation und Verschwendung
(Rechnerzeit) und Fortpflanzungserfolg (neue Instanzen) konkurrieren.
Evolutionsbiologen würden vermutlich anmerken: In allen Beispielen haben sich am Ende diejenigen Individuen durchgesetzt, die die meisten Nachkommen hinterlassen haben. Im den ersten beiden Beispielen waren das die Individuen vom Typ „Fast“, im letzten dagegen diejenigen vom Typ „Slow“. Die natürliche Auslese auf Basis der obigen Fitnessdefinitionen wäre damit ein weiteres Mal eindrucksvoll bestätigt worden.
Leider hat die Sache einen Haken: Es gibt plötzlich keinen wirklichen Grund mehr für das Phänomen der Evolution. Wir können zwar noch immer mit Gewissheit sagen, dass sich am Ende irgendwie stets diejenigen durchsetzen, die die meisten Nachkommen hinterlassen, aber warum sollten auf diese Weise in Jahrmilliarden aus Bakterien Menschen entstehen können? Die Beispiele zeigten doch lediglich: Mal gewinnt „Fast“, ein anderes Mal „Slow“. Im Grunde waren die Ergebnisse völlig beliebig. Eine bessere Anpassung an den Lebensraum war sogar nur für die Population des ersten Beispiels nachweisbar.
Das Problem dabei ist – und ich werde im Laufe des Buches noch mehrfach darauf zurückkommen –, dass Biologen stets etwas implizit annehmen, was aber nicht gegeben sein muss, nämlich dass sich Lebewesen möglichst oft fortpflanzen
wollen
. Nur unter einem kompetenzneutralen Fortpflanzungsinteresse von Individuen – wie im ersten Beispiel – kann von wirklicher Evolution, die mit einer zunehmenden Anpassung der Lebewesen an den Lebensraum einhergeht, gesprochen werden. Höhere Fortpflanzungserfolge allein treiben die Evolution jedenfalls noch nicht an. Ich werde deshalb den Begriff
Fitness
in den weiteren Ausführungen des Buches wieder – wie Darwin – ausschließlich im Sinne von
Anpassung
verwenden.
Das bringt mich zur Frage nach der eigentlichen Triebfeder der Evolution: Warum findet Evolution statt? Was treibt sie an?
Ulrich Kutschera äußert sich dazu wie folgt (Kutschera 2008: 71):
Während die Erzeugung genetischer Vielfalt ungerichtet oder chaotisch erfolgt, ist die natürliche Selektion (…) die richtungsweisende „treibende Kraft“ der Evolution. Als Selektionsfaktoren wirken im Wesentlichen die Lebensbedingungen der Organismen, wie zum Beispiel Nahrungsangebote, verfügbare Brutplätze, Parasiten und pathogene Mikroben, Konkurrenz durch Artgenossen beziehungsweise artfremde Lebewesen (…), Umwelteinflüsse wie Windgeschwindigkeit oder Temperatur, Klimaveränderungen, Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Orkane oder Meteoriteneinschläge (…).
Und an anderer Stelle (Kutschera 2008: 66):
Natürliche Selektion als Triebkraft
. Das Darwin-Wallace-Prinzip der Naturzüchtung konnte durch zahlreiche Freilandstudien bestätigt werden. Bei sich ändernden Umweltbedingungen spielt die gerichtete (dynamische) Selektion die entscheidende Rolle, da es hierbei zur Verschiebung der Merkmalsausprägung in der Population kommt: es entstehen im Laufe der Generationen besser an die neue Umwelt adaptierte Phänotypen.
Allerdings hat unser drittes Computerbeispiel gezeigt, dass die durch die gerichtete Selektion bewirkte Verschiebung der Merkmalsausprägung in einer Population nicht zwangsläufig zu einer besseren, sondern auch zu einer schlechteren Adaption an die Umwelt führen kann, denn der sich schließlich durchsetzende Prozesstyp „Slow“ nutzte die verfügbaren Rechnerkapazitäten schlechter aus als Prozesstyp „Fast“ und somit auch als die Gesamtpopulation zu Beginn des Experiments.
Andere Äußerungen Ulrich Kutscheras heben vor allem die Bedeutung der intraspezifischen Selektion für die Weiterentwicklung einer Population hervor (Kutschera 2008: 252):
Wie M. Eigen (1987) im Detail ausgeführt hat, ist die Annahme, die Selektion wirke als „blinder Zufallsfilter“, inzwischen überholt. Die natürliche Auslese ist das Resultat der Konkurrenz zwischen den Individuen innerhalb einer Population um begrenzte Ressourcen wie Nahrung, Brutplätze usw. und somit der richtungsgebende Faktor im Evolutionsgeschehen.
Gemäß diesen letzten Zeilen ist also nicht die Umwelt die treibende Kraft im Evolutionsgeschehen, sondern in erster Linie die
Konkurrenz
zwischen den Individuen einer Population. In menschlichen Gesellschaften lässt sich das sehr weit bestätigen, denn wir Menschen haben uns sogar eine eigene technisch-soziale Umwelt jenseits aller Natur geschaffen, in der wir nun weitestgehend unter uns
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