Evolution, Zivilisation und Verschwendung
miteinander konkurrieren können.
Natürlich haben die Umweltbedingungen einen sehr großen Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung der Arten. Wenn beispielsweise morgen ein großer Meteor auf die Erde einschlüge, dann könnte damit sogar das Ende der Menschheit gekommen sein. Die Evolution des Lebens auf der Erde nähme dann schlagartig einen ganz anderen Verlauf.
Damit das Leben aber auch wirklich sehr komplexe Formen hervorbringen kann, ist eine gewisse Konstanz der Umweltbedingungen unerlässlich. Spontane, große Veränderungen der Lebensbedingungen auf der Erde haben regelmäßig für ein
Massenaussterben
(von Arten) gesorgt, derer es auf der Erde bislang mindestens fünf gab (Kutschera 2008: 128), gemäß einigen Quellen sogar sechs. Neuerdings wird vermehrt befürchtet, es könne durch den Menschen zu einem
Massensterben
in vielen Arten und in der Folge dann sogar zu einem Massenaussterben von Arten kommen.
Die Entwicklung und Ausreifung komplexer Lebensformen scheint also vor allem unter relativ konstanten, lebensgünstigen Bedingungen vonstatten zu gehen (Atkins 1984: 105ff.). Unter solchen Verhältnissen dürfte dann aber in der Tat die Konkurrenz zwischen den Individuen einer Population die treibende Kraft der Evolution sein, eine Auffassung, der sich im Wesentlichen auch das vorliegende Buch anschließt, denn es vertritt die These, die entscheidende
Triebkraft der Evolution
sei weniger die
natürliche Selektion
, sondern die den Individuen innewohnenden
Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen
, bei denen es sich um
Systemeigenschaften des Lebens
handelt.
4.3 Sozialdarwinismus
Die Anwendung der biologischen Evolutionstheorie auf menschliche Gesellschaften wird heute meist als
Sozialdarwinismus
bezeichnet und diskreditiert. Ideengeschichtlich ist der Sozialdarwinismus sehr stark mit dem Namen Herbert Spencer verbunden (siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt
Herbert Spencer
auf Seite → ).
Der Brockhaus definiert Sozialdarwinismus wie folgt (Brockhaus 2002: 13/153):
Sammelbegriff für alle sozialwissenschaftlichen Theorien, die Charles Darwins Lehre von der natürlichen Auslese (Selektionstheorie) auf die Entwicklung von menschlichen Gesellschaften übertragen. So wurde die wirtschaftliche und soziale Entwicklung als vom Kampf der Individuen und Gruppen ums Dasein verursacht gedacht und als Grundgesetz der Geschichte aufgefasst (L. F. Ward, W. G. Summer). Der Sozialdarwinismus diente zeitweise als Rechtfertigung für bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sowie rassistische Theorien.
Eine solche Übertragung auf die Entwicklung menschlicher Gesellschaften ist gemäß Christian Vogel (und anderen Autoren) aus den folgenden Gründen problematisch (Vogel 2000: 183f.):
Dabei ist heute evident, dass Sozialdarwinisten aller politischen Schattierungen drei Grundprinzipien von Darwins wissenschaftlicher Selektionstheorie verletzt haben:
Erstens verschieben die gesellschaftspolitischen Ideologien die Ebene der unmittelbaren Konkurrenz von den Individuen auf „Stämme“, „Völker“, „Nationen“, „Rassen“ oder „soziale Klassen“. Die natürliche Selektion soll hier unmittelbar „volksdienliches“, „rassendienliches“ oder „klassendienliches“ Verhalten unabhängig vom individuellen Nutzen oder Schaden, den solches Verhalten dem Akteur selbst einbringt, begünstigen. Aus moderner evolutionsbiologischer Sicht ist das unhaltbar; allerdings war Darwin selbst in dieser Hinsicht noch unsicher und schwankend.
Zweitens münzen die Ideologen Darwins teleologiefreies Konzept der natürlichen Selektion erneut in ein teleologisches um: Das Überleben und vor allem die höheren Reproduktionschancen der „Tüchtigen“ sind nicht mehr nur ein zwangsläufiges Produkt der „natürlichen Auslese“, sondern deren „angestrebtes Ziel“.
Und drittens wird dieses Selektionsziel moralisch interpretiert und gewertet, es wird zur angestrebten und erwünschten Zielvorstellung gesellschaftspolitischen Denkens und Handelns transformiert, nach dem Motto: Wer im Sinne dieser natürlichen Selektionsziele handelt, handelt zugleich biologisch und moralisch-sittlich richtig und gut – der klassische naturalistische Fehlschluss (…), der legitimierende Schluss vom „Sein“ zum „Sollen“!
Zum ersten Punkt ist kaum etwas zu sagen: Der Gegenstand der Darwinschen Evolutionstheorie ist die Population mit ihren Individuen: Nationen, Rassen oder soziale Klassen kommen
Weitere Kostenlose Bücher