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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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dem zweiten Punkt um kein wirklich schlüssiges Argument, denn das Experiment beweist lediglich, dass sich unter Glucosearmut am Ende diejenigen Bakterien durchsetzen, die am besten an die vorgegebenen Bedingungen angepasst sind, die also Glucose ganz besonders effizient verwerten können. Dass diese dann tatsächlich insgesamt eine höhere Reproduktionsrate besitzen, als die auf den Selektionsfaktor Glucosearmut noch nicht optimierte Population, dürfte wenig überraschen, jedenfalls solange sich alle Bakterien
in gleichem Maße fortpflanzen „wollen“
, was Evolutionsbiologen zwar stets implizit annehmen, jedoch kaum einmal explizit aussprechen. Hieraus resultiert dann ein Problem, welches ich anhand einiger Beispiele verdeutlichen möchte.
Beispiel 1:
    Stellen wir uns einen Computer vor, auf dem zusammengerechnet gleichzeitig maximal 20 Instanzen der Prozesstypen „Slow“ und „Fast“ laufen können. Beide Prozesstypen zählen zunächst von 1 bis 1.000.000 und „fressen“ dabei die gleiche Rechnerzeit. Prozesstyp Fast schafft das Hochzählen innerhalb einer Minute, Typ Slow dagegen binnen zwei Minuten. Zu Beginn laufen genau 10 Prozesse des Typs Fast und 10 des Typs Slow. Nach Beendigung des Zählvorgangs starten beide Prozesstypen einen weiteren Prozess des gleichen Typs (Tochterprozess) und beginnen mit der Zählerei von vorne.
    Wenn ein Prozess einen weiteren Tochterprozess initiiert, wählt der Rechner per Zufallsprinzip unter den schon laufenden und den neu zu startenden Prozessen eine Instanz aus und terminiert sie („Kampf ums Überleben“). So wird sichergestellt, dass immer genau 20 Prozesse laufen.
    Man kann nun zeigen: Nach etwas mehr als 10 Minuten laufen nur noch Prozesse des Typs Fast.
    Das Beispiel bestätigt genau das von Ulrich Kutschera zitierte Glucosearmut-Experiment. Im übertragenen Sinne haben wir es hier mit zwei unterschiedlichen Ausprägungen einer Bakterienart zu tun, die unterschiedlich gut an den Selektionsfaktor „Rechner-Ressourcen“ angepasst sind, denn Typ „Fast“ nutzt den Rechner effizienter als Typ „Slow“. Nach einigen Generationen hat sich Typ „Fast“ endgültig durchgesetzt. Die finale Population weist dann in der Tat eine höhere durchschnittliche Reproduktionsrate als diejenige zu Beginn des Experiments auf, denn nun reproduziert sich
jedes
Individuum nach einer Minute und nicht nur ein Teil der Population.
Beispiel 2:
    Wir nehmen die gleiche Situation wie im ersten Beispiel an, doch diesmal zählen die Typen „Fast“ und „Slow“ gleich schnell, allerdings initiiert „Slow“ nur nach jedem zweiten abgeschlossenen Zählvorgang einen neuen Prozess des gleichen Typs. Bei Typ Fast bleibt dagegen alles beim Alten.
    Man kann zeigen: Nach etwas mehr als 10 Minuten laufen nur noch Prozesse des Typs Fast.
    Im übertragenen Sinne haben wir es hier mit zwei unterschiedlichen Ausprägungen einer Bakterienart zu tun, die gleich gut an den Selektionsfaktor „Rechner-Ressourcen“ angepasst sind, denn sie nutzen den Rechner ähnlich effizient. Nach einigen Generationen hat sich trotzdem Typ „Fast“ endgültig durchgesetzt, und zwar aufgrund seiner überlegenen Fruchtbarkeit. Die finale Population weist dann auch eine höhere durchschnittliche Reproduktionsrate als diejenige zu Beginn des Experiments auf, denn nun reproduziert sich
jedes
Individuum nach einer Minute und nicht nur ein Teil der Population.
    Die finale Population weist zwar eine höhere
Darwin-Fitness
auf, sie ist aber keineswegs besser an den Lebensraum „Computer“ angepasst. Von einerEvolution im klassischen Sinne kann deshalb in diesem Falle nicht gesprochen werden.
Beispiel 3:
    Wir nehmen die gleiche Situation wie im ersten Beispiel an, doch diesmal initiiert „Fast“ nur nach jedem vierten abgeschlossenen Zählvorgang einen neuen Prozess des gleichen Typs. Bei „Slow“ bleibt dagegen alles wie im ersten Beispiel.
    Man kann zeigen: Nach etwas mehr als 20 Minuten laufen auf dem Rechner nur noch Prozesse des Typs Slow.
    Das Ergebnis des letzten Beispiels wäre sicherlich noch hinzunehmen, wenn es sich bei den beiden Prozesstypen im übertragenen Sinne um unterschiedliche Arten handeln würde, die jeweils eigene Fortpflanzungsstrategien verfolgten (siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt
Paarungsverhalten als evolutionärer Vorteil
auf Seite → ). Wir nehmen aber einmal bewusst an, es handele sich hierbei um Individuen der gleichen Population, die untereinander um Ressourcen

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