Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg (Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg = Anzahl der fortpflanzungsfähigen Nachkommen im Laufe des Lebens eines Individuums) bezogen auf die Konkurrenten derselben Population verstanden (Kutschera 2008: 67):
Charles Darwin hatte 10 Kinder; zwei seiner Nachkommen sind früh verstorben. Darwins relative Fitness war nahezu dreimal höher als jene seines deutschen Kollegen Ernst Haeckel, der von einem Sohn und zwei Töchtern überlebt wurde (Darwin/Haeckel = 8/3 = 2,7).
Berücksichtigt man auch den Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg der nahen Verwandten eines Individuums, deren Gene folglich zu einem erheblichen Teil mit denen des Individuums identisch sind, dann kommt man zum Begriff der
Gesamtfitness
.
Daneben existiert auch noch der Begriff der
Anpassung
beziehungsweise des
Grads der Angepasstheit
an den Lebensraum (Umgebung, Milieu, Umweltfaktoren) des Individuums.
Die moderne Evolutionsbiologie verwendet nun allerdings in ihren Formulierungen des Selektionsprinzips ausschließlich den obigen Begriff der Fitness (Kutschera 2008: 32):
Im Jahr 1870 übernahm Darwin den von Herbert Spencer geprägten Begriff „survival of the fittest“ als Synonym für den Term „struggle for existence“ (in der 1859 publizierten Erstauflage von Darwins Hauptwerk fehlt das Wort fitness). Diese Umschreibung des Selektionsprinzips hat sich bis heute erhalten: In der modernen Evolutionsbiologie bedeutet der Begriff fitness in grober Näherung relativer Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg, bezogen auf die Konkurrenten in derselben Population.
Die natürliche Selektion ließe sich dann wie folgt umformulieren: Es überleben diejenigen Individuen, die den höchsten Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg haben.
Allerdings degenerierte das Selektionsprinzip auf diese Weise zur bloßen Tautologie, wie auch Manfred Eigen indirekt anmerkt (Eigen 1987: 59f.):
Die Vermutung, dass es sich bei Darwins Prinzip in der Formulierung von „survival of the fittest“ um eine Tautologie handeln könnte, ist damit endgültig ad absurdum geführt. „Survival“ ist eine Gegebenheit, die sich durch relative Populationszahlen ausdrückt und im Experiment messen lässt. „Fittest“ ist durch eine Wertfunktion bestimmt. Sie basiert auf dynamischen Parametern, die unabhängig von Populationszahlen messbar sind.
Bernd-Olaf Küppers ergänzt (Küppers 1990: 221f.):
Das Selektionsprinzip würde genau dann eine Tautologie darstellen, wenn es zwischen dem Populationsraum („survival“) und dem Werteraum („fittest“) immer nur eine triviale Zuordnung gäbe (…).
Mit anderen Worten: Beim Prinzip der natürlichen Auslese darf zwischen den Variablen
Überleben
und
Fitness
keine einfache Zuordnung bestehen, wie dies aber bei der Gleichung
Fitness = relativer Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg
der Fall ist.
Das Problem des Fitnessbegriffs im Sinne eines relativen LebenszeitFortpflanzungserfolges ist, dass er etwas voraussetzt, was Teil des Ergebnisses ist. Es lassen sich dann nämlich Dialoge vorstellen wie etwa (Kutschera 2008: 254): Frage: Wer überlebt? Antwort: Der Fitteste. Frage: Wer ist der Fitteste? Antwort: Der, der überlebt.
Evolutionsbiologen weisen solche Einwände typischerweise mit den folgenden Argumenten zurück:
Erstens müsse ein
Survival of the Fittest
immer im Zusammenhang mit der
Erblichkeit
von Merkmalen und Eigenschaften gesehen werden.Denn bei der Fortpflanzung würden schließlich die Gene vererbt, die maßgeblich für die Realisierung des Fortpflanzungserfolges verantwortlich waren. Diese wären anschließend in der Population stärker vertreten.
Und zweitens, so ihr Argument, sei die Formulierung des Selektionsprinzips allein schon deshalb keine Tautologie, da die behauptete Beziehung ja längst empirisch nachgewiesen sei (Kutschera 2008: 255):
Laborexperimente mit Bakterien, die unter dem Selektionsfaktor „Glucosearmut“ über Tausende von Generationen in Reagenzgläsern kultiviert wurden, haben den auf Mutation und Selektion basierenden Evolutionsmodus bestätigt. Überdies konnte die Tüchtigkeit (fitness, das heißt Lebenszeit-Fortpflanzungserfolg) der einzelnen Bakteriengenerationen bestimmt und in relativen Werten (Zahlen) ausgedrückt werden. Die evolvierten Bakterienstämme hatten eine höhere fitness als ihre Vorläuferformen (Urahnen). Der Vorwurf, das Selektionsprinzip sei eine Tautologie, weil die fitness der Nachkommenschaft nicht messbar sei, ist somit ausgeräumt.
Allerdings handelt es sich bei
Weitere Kostenlose Bücher