Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Die restlichen Individuen verkauft er als Schlachttiere auf einem naheliegenden Markt.
Nur wenige Generationen später ist es soweit: Alle Kaninchen unseres Züchters haben ein schneeweißes Fell.
Erfüllt das Beispiel die obigen, von Dennett genannten allgemeinen Evolutionsprinzipien?
Ja, das tut es in der Tat. Über die Kriterien Variation und Replikation müssen wir nicht weiter reden, denn dafür sorgt ja bereits die Natur. Bezüglich dem Kriterium „Differential Fitness“ lässt sich aber feststellen: Sehrweiße Kaninchenexemplare sind besonders gut an ihren Lebensraum – die Präferenzen des Züchters – angepasst. Sie hinterlassen folglich auch besonders viele Nachkommen.
Die Dennett’schen allgemeinen Evolutionsprinzipien würden somit auch etwas als „
evolution by natural selection
“ bezeichnen, was in Wirklichkeit durch künstliche Selektion, nämlich die gezielte Wahl eines Züchters beziehungsweise eines externen „Schöpfers“ zustande kommt, obwohl es doch gerade der Reiz (oder das Schockierende) der Darwinschen Evolutionstheorie ist, dass sie die biologische Evolution auf Basis des Prinzips der natürlichen Auslese und folglich ohne den Eingriff eines Schöpfers erklären kann.
Es fragt sich unmittelbar: Wenn die von Dennett verallgemeinerten Evolutionsprinzipien auch mit einer künstlichen Zuchtwahl vereinbar sind, warum ist es das von Darwin formulierte Prinzip der natürlichen Auslese nicht? Oder anders gefragt: Was macht die natürliche Auslese Darwins so natürlich?
Betrachten wir dazu einmal die folgende Erläuterung der Darwinschen Motivationen bei der Formulierung seines Prinzips der natürlichen Auslese (Lenzen 2003: 49):
Die Lektüre von Malthus brachte ihn auf die Idee, die seine später veröffentlichte Theorie ausmacht: Pflanzen und Tiere produzieren mehr Nachkommen, als die Umwelt ernähren kann. Folglich werden sie zu Konkurrenten, von denen nur einige überleben können. Welche überleben, hängt von den Eigenschaften der Individuen ab. Diejenigen, die aufgrund ihrer Ausstattung besser mit ihrer Umwelt zurechtkommen (besser angepasst sind), werden überleben, die anderen zugrunde gehen. Dieser Prozess bewirkt, dass sich die Lebewesen an ihre Umwelt anpassen. Verändert sich die Umwelt, werden sich dementsprechend auch die Arten verändern.
In dieser Zusammenfassung taucht ein ganz entscheidender Satz auf, der aber sehr leicht überlesen werden kann: „
Folglich werden sie zu Konkurrenten
“ 96 .
Übersetzt heißt dies nichts anderes als: Evolution findet statt, weil die verschiedenen Individuen einer Population im
Wettbewerb
miteinander stehen und ihr zukünftiges Fortbestehen unter sich „ausfechten“. Sie schaffen den Prozess
aus sich heraus
(eigendynamisch) und sind dabei nicht auf externe Eingriffe von Züchtern oder gar Schöpfern angewiesen.
Entsprechend nennt Peter W. Atkins als Voraussetzung für evolutive Prozesse die Kriterien
Wettbewerb
,
Überleben
97 und
Reproduktion
(Atkins 1984: 13): Wenn schon kein externer Züchter oder Schöpfer am Werk ist, dann können es nur die Individuen selbst sein, die die Evolution bewirken. Dazu müssen sie aber aufgrund konkurrierender Eigeninteressen in einen Wettbewerb miteinander geraten.
Manfred Eigen stellt noch andere Kriterien ins Zentrum einer Evolutionstheorie (Eigen 1987: 57):
Selbstreproduktivität, Mutagenität und Metabolismus sind notwendige Voraussetzungen für natürliche Selektion. In einem System, das diese drei Eigenschaften besitzt, stellt sich Selektion naturgesetzlich ein.
Mit anderen Worten: Für ihn sind die Kriterien Selbstreproduktivität, Mutagenität und Metabolismus notwendige und hinreichende Voraussetzungen für die natürliche Selektion und damit für Evolution. Man könnte sie wie folgt in die Begrifflichkeit der Systemischen Evolutionstheorie überführen:
Metabolismus = Selbsterhalt
Mutagenität = Variation
Selbstreproduktivität + Mutagenität = Reproduktion
Auch Manfred Eigen verzichtet also bei den Evolutionsvoraussetzungen zunächst auf den Wettbewerb der Individuen um Leben und Überleben. Allerdings verlangt er an anderer Stelle, dass sich alle Mutationen gleichermaßen replizieren wollen (Eigen 1987: 102):
Voraussetzung für evolutives Verhalten ist neben der inhärent autokatalytischen Selbstvermehrung aller Varianten von Replikatoren, sowie neben ihrer Mutagenität, die Aufrechterhaltung eines ständigen chemischen Umsatzes durch Zuführung energiereicher
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