Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Bausteine.
Damit hat er den Wettbewerb indirekt wieder ins Geschehen zurückgeholt (Eigen 1987: 255).
Wie wir gesehen haben, basiert Evolution „
aus sich heraus
“ zwar maßgeblich auf den
konkurrierenden Eigeninteressen
von Individuen, trotzdem wird dieses wesentliche Kriterium in zahlreichen Fassungen der Evolutionstheorie (zum Beispiel Dennetts allgemeinem Prinzip der natürlichen Selektion) nicht einmal erwähnt. Doch wie könnte es formuliert werden? Etwa so, wie es Darwin nach der Lektüre von Malthus’ Schriften tat?
Die Systemische Evolutionstheorie hat diese Fragen beantwortet (siehe dazu die Begründungen zur Objektorientierung im Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite 92): Es sind die den Individuen innewohnenden – aber nicht notwendigerweise einheitlich vorhandenen – Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen, die den Evolutionsprozess in Gang bringen und auch am Leben erhalten. Sie sind es, die den Evolutionsprinzipien ihr Leben einhauchen. Man könnte sie auch als eine Übersetzung oder gar Formalisierung der Konkurrenzbedingung im Darwinschen Prinzip der natürlichen Auslese auffassen 98 , zum Beispiel in der folgenden Art und Weise:
Pflanzen und Tiere produzieren mehr Nachkommen, als die Umwelt ernähren kann.
Übersetzung: Lebewesen besitzen ein Fortpflanzungsinteresse: Sie wollen sich reproduzieren, und zwar die besser an den Lebensraum angepassten Individuen mindestens genauso stark wie die weniger gut angepassten 99 .
Folglich werden sie zu Konkurrenten, von denen nur einige überleben können.
Übersetzung: Lebewesen werden in Mangelsituationen zu Konkurrenten, weil sie sich selbsterhalten wollen; weil sie ein eigenständiges Selbsterhaltungsinteresse besitzen.
Gleichzeitig ist hiermit eine deutliche theoretische Straffung verbunden: Es genügt dann von „natürlichen“ (kompetenzneutralen) Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen der Individuen zu sprechen. Das Erzählen langer Geschichten mit einigen Wenn-dann-Konditionen, bei denen die Individuen entweder generell zu viele Nachkommen haben, die sich dann gegenseitig die Nahrung streitig machen, oder bei denen die besser angepassten Individuen nur mehr Nachkommen hinterlassen als andere, kann dann entfallen. Das Darwinsche Prinzip der natürlichen Selektion entstammt im gewissen Sinne noch einem mechanistischen Weltbild, jedenfalls ist es entsprechend verfasst. Ganz deutlich kommt dies in einer von Ernst Mayr stammenden Variante der natürlichen Selektion auf Basis der Darwinschen Überlegungen zum Ausdruck (Mayr 2005: 148):
Tatsache 1: Alle Populationen sind so fruchtbar, dass ihre Größe ohne Beschränkungen exponentiell zunehmen würde. (Quelle: Paley und Malthus)
Tatsache 2: Die Größe der Populationen bleibt, von jahreszeitlichen Schwankungen abgesehen, über längere Zeit gleich (Fließgleichgewicht). (Quelle: allgemeine Beobachtungen)
Tatsache 3: Jeder Spezies stehen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. (Quelle: Beobachtung, von Malthus bestätigt)
Schlussfolgerung 1: Zwischen den Angehörigen einer Spezies herrscht starke Konkurrenz (Kampf ums Dasein). (Quelle: Malthus)
Tatsache 4: Zwei Individuen in einer Population sind niemals genau gleich (Populationsdenken). (Quelle: Tierzüchter und biologische Systematiker)
Schlussfolgerung 2: Die Individuen in einer Population unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Überlebenswahrscheinlichkeit (d.h. es findet natürliche Selektion statt). (Quelle: Darwin)
Tatsache 5: Viele Unterschiede zwischen den Individuen einer Population sind zumindest teilweise erblich. (Quelle: Tierzüchter)
Schlussfolgerung 3: Natürliche Selektion, über viele Generationen fortgesetzt, führt zu Evolution. (Quelle: Darwin)
Wir haben es hier mit einer komplizierten Wechselbeziehung zwischen fünf Tatsachen und drei Schlussfolgerungen zu tun, etwas was bereits als Spaghetti-Code oder das Erzählen langer Geschichten mit einigen Wenn-dannKonditionen bezeichnet wurde. Jedenfalls würde man so etwas normalerweise nicht als „Prinzipien“ bezeichnen.
Richard Dawkins merkt demgegenüber an (Dawkins 2008: 9):
Ein Problem am Darwinismus ist, so nehme ich an, dass, wie Jacques Monod scharfsinnig bemerkt hat, jeder meint, er verstünde ihn. Er ist wirklich eine erstaunlich einfache Theorie – kindisch einfach, könnte man meinen, im Vergleich zu fast der gesamten Physik und Mathematik. Im Kern ist er nichts anderes als die Idee, dass nichtzufällige Reproduktion weitreichende
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