Evolution, Zivilisation und Verschwendung
als Bonuszahlungen an seine Topmanager aus.
Ein Unternehmen besitzt also im Vergleich zu den restlichen neun ein deutlich reduziertes Reproduktionsinteresse. Denn wenn es sicherstellen möchte, dass auch in Zukunft seine Produkte (Kompetenzen) „selektiert“ werden, dann sollte ihm vor allem die zukünftige Konkurrenzfähigkeit seiner Produkte am Herzen liegen. Dies ist bei seinen Konkurrenten der Fall, bei ihm jedoch nicht.
Das vermutliche Ergebnis: Das Unternehmen wird Marktanteile verlieren und eventuell sogar ganz vom Markt verschwinden. Man sagt dann: Es war nicht mehr ausreichend an die Marktverhältnisse (an sein Milieu) angepasst.
Beispiel 4:
Giraffen erlangen umso mehr Nahrung, je länger ihr Hals ist. Anders gesagt: Ihre Fitness korreliert mit ihrer Halslänge.
Nehmen wir nun an, eine Giraffenpopulation habe sich für eine „moderne“ Reproduktionsstrategie entschieden: Die Giraffen mit den längstenHälsen fressen das hohe Laub nur zum Teil selbst. Einen größeren Teil („Laub-Steuer“) lassen sie für ihre kurzhalsigen Artgenossen einfach zu Boden fallen. Als Gegenleistung übernehmen diese dafür die Nachwuchsarbeit. Das Reproduktionsinteresse der kurzhalsigen Giraffen ist also hoch, das der langhalsigen dafür niedrig.
Mit der Zeit wird die gesamte Giraffenpopulation auf diese Weise immer kurzhalsiger. Der lange Hals stellt zwar prinzipiell einen Vorteil dar, allerdings führt er aufgrund der Reproduktionsstrategie der Giraffenpopulation sehr bald zur evolutionären Elimination.
Daraus ergeben sich für die Zukunft zwei Alternativen:
Die Giraffenpopulation stirbt aus (Fehlanpassung aufgrund einer törichten Reproduktionsstrategie).
Die Giraffenpopulation ändert ihr Verhalten gegenüber ihrem Lebensraum und konzentriert sich auf eine Nahrungssuche in Bodennähe. Irgendwann dürfte das Reproduktionsinteresse wieder mit der Lebensraum-Fitness der Individuen im Einklang stehen und die Population könnte – nun allerdings körperlich sehr stark verändert – weiter fortbestehen.
Das Beispiel zeigt: Temporäre evolutionäre Fehlsteuerungen müssen nicht notwendigerweise zum Aussterben einer Art führen. Solange das Reproduktionsinteresse in weiten Teilen einer Population ungebrochen ist, ist eine Rückkehr zu langfristig stabilen Adaptionsprozessen noch möglich. Bei dauerhaft beschädigten Reproduktionsinteressen kann Evolution dagegen nicht mehr stattfinden.
Fazit:
Die obigen Beispiele konnten deutlich machen, dass das Reproduktionsinteresse für das Nachwuchsverhalten und die Evolution von Populationen von entscheidender Bedeutung ist.
Im Rahmen der Diskussion um den demographischen Wandel wird sich zeigen, dass in modernen Gesellschaften zwar noch ein ungebrochenes Paarungsinteresse, aber nur noch ein sehr stark vermindertes Reproduktionsinteresse besteht, und zwar umso ausgeprägter, je qualifizierter eine Person ist. In Gesellschaften mit Gleichberechtigung der Geschlechter und leistungsfähigen Methoden zur Familienplanung lassen sich Entscheidungen für oder gegen Nachwuchs für das einzelne Individuum regelrecht ökonomischabwägen. Dieser Umstand sollte bei allen familien- und bevölkerungspolitischen Maßnahmen eingehend berücksichtigt werden.
Auch dürfte sich bei generell niedrigen Reproduktionsinteressen jeglicher Selektionsdruck schon sehr bald verflüchtigen. Besteht wie in modernen Gesellschaften dann zusätzlich noch ein negativer Zusammenhang zwischen gesellschaftlich nutzbaren Kompetenzen und Reproduktionsinteressen, dann dürfte die langfristige Sicherstellung der Anpassungsfähigkeit der Population an sich wandelnde Anforderungen mehr als fraglich sein.
4.6 Alternative Fassungen der Darwinschen Theorie
Es gibt vermutlich ähnlich viele unterschiedliche Formulierungen der biologischen Evolutionstheorie wie es Bücher zur Evolutionstheorie gibt.
Beginnen möchte ich das Thema mit einer Diskussion einer von Daniel C. Dennett vorgestellten allgemeineren Variante der Darwinschen Evolutionstheorie (Dennett 1995: 343):
The outlines of the theory of evolution by natural selection make clear that evolution occurs whenever the following conditions exist:
variation: there is a continuing abundance of different elements
heredity or replication: the elements have the capacity to create copies or replicas of themselves
differential “fitness”: the number of copies of an element that are created in a given time varies, depending on interactions between the features of that
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