Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
Vom Netzwerk:
hinarbeiten, könnte es vielleicht nützlich sein, sich die Meme ebenfalls so vorzustellen. (…) Wir haben Bezeichnungen wie „eigennützig“ und „rücksichtslos“ auf die Gene angewandt und waren uns dabei völlig im Klaren darüber, dass es sich lediglich um eine Sprachfigur handelt 102 . Können wir, in genau dem gleichen Sinne, nach eigennützigen oder rücksichtslosen Memen Ausschau halten?
    Hier stellt sich nun ein Problem, das die Natur der Konkurrenz betrifft. Wo es geschlechtliche Fortpflanzung gibt, konkurriert jedes Gen vor allem mit seinen eigenen Allelen – Rivalen für dieselbe Stelle auf dem Chromosom. Bei den Memen scheint es nichts den Chromosomen Entsprechendes zu geben und nichts, was den Allelen entspricht. (…) Sollen wir annehmen, dass sie „eigennützig“ oder dass sie „rücksichtslos“ sind, wenn sie keine Allele haben? Tatsächlich können wir dies erwarten, denn in gewissem Sinne müssen Meme sich auf eine Art Konkurrenz miteinander einlassen.
    Jeder, der einmal einen Großrechner benutzt hat, weiß, wie kostbar Rechenzeit und Speicherkapazität sind. In vielen großen Rechenzentren muss man dafür tatsächlich Geld bezahlen, oder man bekommt eine Laufzeit zugeteilt, die in Sekunden gemessen wird. Die Computer, in denen die Meme leben, sind die Gehirne der Menschen. Bei diesen ist die Zeit möglicherweise ein wichtigerer Faktor als der Speicherplatz, und sie ist Gegenstand heftiger Konkurrenz. Das menschliche Gehirn und der Körper, den es steuert, können nicht mehr als eins oder einige wenige Dinge gleichzeitig tun. Wenn ein Mem die Aufmerksamkeit eines menschlichen Gehirns in Anspruch nehmen will, so muss es dies auf Kosten „rivalisierender“ Meme tun.
    Mit anderen Worten: Gene konkurrieren um den Platz auf Chromosomen, Meme um die Aufmerksamkeit menschlicher Gehirne.
    Ich muss gestehen, dies scheint mir sehr weit hergeholt bis fast absurd zu sein. Auch ergeben sich aus einer solchen Vorstellung einige unmittelbare logische Probleme, zum Beispiel bezüglich des Zusammenspiels von Phänotyp und Genotyp
    Gemäß Richard Dawkins ist nämlich in biologischen Populationen (Dawkins 2007: 50f.)
die fundamentale Einheit für die Selektion und damit für das Eigeninteresse nicht die Art, nicht die Gruppe und – streng genommen – nicht einmal das Individuum (…). Es ist das Gen, die Erbeinheit.
    Folgt man dieser Argumentation, dann läge das Reproduktionsinteresse also beim Replikator Gen und nicht beim Individuum, was recht problematische Folgerungen hat, denn schließlich kann ein Gen ein eventuelles Reproduktionsinteresse nur über seine „Überlebensmaschine“ Individuum (Dawkins 2007: 63) ausdrücken und realisieren. Hinzu kommt, dass Dawkins im Rahmen seiner weiteren Ausführungen nicht hinreichend präzise erklären kann, was Gene nun eigentlich sind, denn ganz egal wie klein er seine DNASequenzen dafür auch wählen mag, die Natur wird diese Einheiten während des Fortpflanzungsvorgangs immer mal wieder auseinander schneiden (Dawkins 2007: 64 ff.). Das führt zu dem Dilemma, dass die von ihm definierte
Einheit der Selektion
letztlich gar keine invariante Einheit ist (Dawkins 2007: 75):
    Ein Gen ist definiert als jedes beliebige Stück Chromosomenmaterial, welches potenziell so viele Generationen überdauert, dass es als eine Einheit der natürlichen Auslese dienen kann.
    Und weiter (Dawkins 2007: 82):
    Wollte man genau sein, so dürfte dieses Buch weder ‚Das egoistische Cistron’ noch ‚Das egoistische Chromosom’ heißen, sondern eher ‚Das etwas egoistische große Stückchen Chromosom und das sogar noch egoistischere kleine Stückchen Chromosom’. Doch das ist ein – gelinde gesagt – nicht gerade spannender Titel, daher definiere ich ein Gen als ein kleines Stückchen Chromosom, das potenziell viele Generationen überdauert, und nenne das Buch ‚Das egoistische Gen’.
    Die meisten anderen Autoren betonen dagegen, dass nur der Phänotyp Gegenstand der Selektion sein kann (Eibl-Eibesfeldt 2004: 547):
    Die Selektion setzt immer bei den Phänotypen an, bei den Individuen oder auch Gruppen. Ausgelesen werden aber letztlich die Gene als die eigentlichen Replikatoren.
    Oder noch etwas ausführlicher ausgedrückt – und bereits mit einigen Fragezeichen versehen (Kirschner/Gerhart 2007: 27f.):
    In der Evolution wirkt die Selektion stets auf die Variation des Phänotyps, der sämtliche beobachtbaren Eigenschaften und Funktionsmerkmale des Organismus enthält. Das

Weitere Kostenlose Bücher