Evolution, Zivilisation und Verschwendung
ist ein Lieblingsbegriff der Evolutionsbiologen,der auch in Begriffskombinationen wie „phänotypische Variation“ oder „phänotypische Veränderung“ auftritt. Die Selektion wirkt nicht direkt auf die DNA-Sequenz (die auch als Genotyp bezeichnet wird). Auf den Genotyp wirkt sie nur indirekt durch den Phänotyp, dessen Merkmale weitgehend vom Genotyp abhängen. (…) Da es der Phänotyp ist, der der Selektion unterliegt, aber der Genotyp vererbt wird, um den Phänotyp zu produzieren, ist es entscheidend, die Prozesse zu verstehen, die beide miteinander verknüpfen.
Gemäß der Dawkinschen Theorien der egoistischen Gene und Meme entwickelt sich die „Überlebensmaschine“ Mensch zunächst aus dessen Genen. Anschließend würde dieses noch unfertige Individuum erzogen und ausgebildet und sein Gehirn dabei mit einer ganzen Reihe unterschiedlichster Meme beladen. Erst jetzt hätte sich sein Phänotyp voll entfaltet.
Beispiel:
Ein eineiiges Zwillingspaar (beides Jungen) wird bei der Geburt getrennt, so dass die beiden Brüder in unterschiedlichen Bauernfamilien aufwachsen. Die erste Familie unterrichtet ihr Kind intensiv in Lesen, Schreiben und Rechnen, während sein Zwillingsbruder alle möglichen Feld- und Hausarbeiten verrichten muss. Er bleibt Analphabet.
Wenige Jahre später verschlechtern sich die Verhältnisse auf dem Land und beide Brüder müssen sich unabhängig voneinander um einen Job in der benachbarten Stadt bemühen. Der des Lesens mächtige Bruder findet prompt eine geeignete Stelle bei einem einflussreichen Würdenträger und macht schon bald Karriere. Er heiratet eine Tochter des Bürgermeisters und hat mit ihr zusammen 9 Kinder. Sein Bruder findet dagegen keine Arbeit und stirbt während eines sehr kalten Winters an Hunger und Unterkühlung.
Das Beispiel macht deutlich, dass eine „Selektion“ zwangsläufig am Phänotyp ansetzen muss. Der Genotyp mag zwar in vielen Fällen – insbesondere im Tierreich – eine ganz entscheidende Rolle spielen, er ist aber sicherlich nicht der einzige Faktor, der bei einer Selektion zur Geltung kommt. Zumindest in menschlichen Gesellschaften muss er dafür sogar nicht einmal ausschlaggebend sein.
Ein Selektionsprinzip, welches am Phänotyp ansetzt, dann aber nur den Genotyp ausliest, der für die Selektion möglicherweise aber nicht einmal entscheidend war, dürfte Evolution nicht wirklich plausibel erklären können.Unabhängig davon mehren sich die Hinweise, dass in der Natur neben der Vererbung genetischer Merkmale auch die Vererbung erworbener, epigenetischer Eigenschaften eine wesentliche Rolle spielen könnte. Einige Autoren sprechen deshalb bereits von unabhängigen Vererbungssystemen, die im Rahmen der Evolution alle zu berücksichtigen seien, und in denen zum Teil auch der Status der Umwelt oder die Erfahrungen der Eltern eine Rolle spielen könnten.
Jablonka und Lamb unterscheiden in (Jablonka/Lamb 2006) gleich vier verschiedene solcher Systeme, und zwar ein genetisches, epigenetisches, verhaltensspezifisches und zeichenbasiertes Vererbungssystem, wobei das letzte der genannten Systeme ausschließlich dem Menschen zugesprochen wird. Gemäß ihrer Auffassung wäre sogar eine Evolution mit stark veränderten Phänotypen möglich, wenn alle Individuen über den gleichen genetischen Code verfügten, wenn sich also nur auf epigenetischer, verhaltensspezifischer und zeichenbasierter Ebene etwas ändern würde. Sie behaupten, dass Individuen über alle drei genannten Vererbungssysteme auch gewisse Erfahrungen mit ihrem Lebensraum an ihre Nachkommen weitergeben könnten. Beispielsweise entwickelt sich Flachs verzweigter und hat auch breitere Blätter, wenn er regelmäßig gedüngt wird. Diese Merkmale können aber offenkundig auch über den Samen epigenetisch an die nächste Generation weitergeben werden (Lenzen 2003: 82).
Wie ich bereits erläutert habe, ist in analoger Weise auch eine gewisse Evolution der Computertechnik selbst dann noch vorstellbar, wenn sich nur die Softwareseite weiterentwickelt, die Hardware dagegen immer gleich bleibt (siehe Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite → ).
Ähnliche Ideen wie Jablonka und Lamb verfolgen Sterelny und Griffiths (Sterelny/Griffiths 1999) mit ihrer Theorie der Entwicklungssysteme, bei der der Phänotyp eines Organismus gesamthaft als ein sich entwickelndes System betrachtet wird, in deren Rahmen die Gene nicht mehr die ausschließliche Rolle spielen, sondern nur ein Faktor unter vielen
Weitere Kostenlose Bücher