Evolution
viele
Arten aus.
Bei diesem gewaltigen evolutionären Drama führte das
ständig wechselnde Erdklima Regie – und die Tiere und
Pflanzen waren den Launen des unsichtbaren Regisseurs hilflos
ausgeliefert.
Am nächsten Morgen wurde es nichts aus dem genüsslichen
An-den-Eiern-Kratzen. Nach dem Aufwachen setzte Capo sich auf und
stieß wegen der Verletzungen und Prellungen vom Vortag einen
leisen Schmerzensschrei aus. Dann entleerte er in einer schnellen
Bewegung Blase und Darm, ohne das protestierende Geschnatter unter
sich zu beachten.
Er sprang aus dem Nest und kletterte den Baum hinunter. Wie tags
zuvor krachte er mit Gebrüll in die Nester der Sippe und weckte
sie mit Tritten und Schlägen. An diesem Tag war Capo aber nicht
an einer Demonstration seiner Macht interessiert; an diesem Morgen
ging es ihm nicht um Dominanz, sondern um Führung.
Sein Entschluss hatte noch immer Bestand. Die Sippe musste
weiterziehen. Wohin sie gehen sollten, war freilich kein Element
seiner planlosen Entscheidungsfindung vom gestrigen Tag. Was ihm
jedoch deutlich im Bewusstsein war, war der gestrige Zwischenfall,
der Kampf mit Felsbrocken und das Gefühl, dass dieses kleine
Waldgebiet übervölkert war.
Die Sippe versammelte sich auf dem Erdboden. Es waren über
vierzig Mitglieder, einschließlich der Kleinkinder, die sich an
Bauch oder Rücken ihrer Mütter klammerten. Sie waren
verschlafen, unruhig und kratzten und streckten sich. Capo hatte sie
kaum versammelt, da zerstreuten sie sich natürlich schon wieder.
Sie zupften an Grasbüscheln und Moos auf dem Boden und
pflückten tief hängende Feigen und andere Früchte.
Selbst unter den Männchen spürte er Reserviertheit,
Rivalität und Ressentiments; vielleicht widersetzten sie sich
ihm, nur um sich in den endlosen Machtkämpfen selbst zu
profilieren. Und was die Weibchen betraf, so folgten die trotz Capos
Imponiergehabe eigenen Gesetzen.
Wie sollte er eine solche Horde überhaupt irgendwohin
führen?
Sein Gehirn war eine hoch entwickelte Maschine, die in erster
Linie zu dem Zweck entwickelt worden war, komplexe soziale
Situationen zu handhaben. Und er verfügte über ein gutes,
angeborenes Verständnis seiner Umwelt. Er hatte die
überlebensnotwendigen Ressourcen und ihre Standorte in einer Art
Datenbank im Kopf abgespeichert. Er verstand sich sogar auf nautische
Kopplung und vermochte leicht die kürzeste Verbindung zwischen
zwei Punkten zu berechnen. Es war sein Umweltbewusstsein, das die
Besorgnis wegen des schrumpfenden Waldgebiets verursacht hatte.
Jedoch war sein Bewusstsein, im Gegensatz zu einem Menschen, nicht
ständig aktiv. Das Bewusstsein schaltete sich quasi in
Intervallen zu. Er war sich seiner Gedanken, seiner selbst nur dann
bewusst, wenn er an andere in der Sippe dachte – weil das
nämlich der primäre Zweck des Bewusstseins war, das Denken
anderer zu beeinflussen. In Bezug auf andere Lebensbereiche wie
Nahrungssuche oder auch Werkzeugbenutzung hatte er dieses Bewusstsein
nicht: Das waren unbewusste Handlungen, die wie das Atmen oder die
Bein- und Armarbeit beim Klettern ohne das Zutun des Bewusstsein
abliefen. Sein Denken war nicht vernetzt wie das eines Menschen,
sondern ein ›Schubladendenken‹.
Er hatte allerdings Schwierigkeiten, die verschiedenen Teile des
Puzzles zusammenzusetzen: die Gefahr, die vom schrumpfenden Wald
ausging und wie er seine Sippe führen sollte. Dennoch empfand er
die Gefahr als höchst real, und alle Instinkte schrien ihn an,
von hier zu verschwinden. Die Sippe musste ihm folgen. Das war
zwingend notwendig; er wusste es in jeder Faser seines Seins. Wenn
sie hier blieben, würden sie sicher sterben.
Also stieß er ein Gebrüll aus, um das Blut in Wallung
zu bringen, und lieferte die Vorstellung seines Lebens ab. Er rannte
vor der Sippe auf und ab und schlug, knuffte und trat seine
Artgenossen. Dann riss er Äste von den Bäumen und schwang
sie über dem Kopf, um noch größer zu wirken. Er
sprang und schwang sich über Äste und Baumstämme,
trommelte wild auf den Boden und – als eine ultimative
Bekräftigung des gestrigen Siegs – warf er Felsbrocken auf
den Boden und setzte sich mit dem rosettenartigen Anus auf das
Gesicht des jüngeren Männchens. Es war ein
großartiges Spektakel und übertraf fast alles, was er in
jüngeren Jahren gebracht hatte. Männchen jubelten, Weibchen
zuckten zurück und Babys schrien, und Capo gestattete sich einen
Anflug von Stolz auf seine Leistung.
Und dann versuchte er, sie zum
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