Evolution
unerträglichen
Gestank erfüllt. Für Kieselstein war das aber eine ganz
normale Umgebung, wie er sie nie anders kennen gelernt hatte.
An diesem Abend wurden sogar zwei Feuer unterhalten. Hände
kümmerte sich ums Feuer, das schon den ganzen Tag lang schwelte.
Er streifte auf der Suche nach Brennholz um die Hütte und
errichtete einen ordentlichen Scheiterhaufen aus Holz und Laub, um
ein helles, heißes Feuer zu erzielen. Er hatte das Fleisch vom
Kopf und den Gliedern eines Nashorn-Babys abgezogen und knackte die
Knochen überm Feuer, um an das nahrhafte Mark zu gelangen.
Im hinteren Bereich der Hütte arbeiteten Staub und die Frau
Grün mit Robbe, Schrei und ein paar Kindern an einer zweiten
Feuerstelle. Sie hatten ein paar Steine, aus denen sie Messer und
Bohrer herstellten. Damit bereiteten sie die Nahrung zu, die sie im
Lauf des Tags im Umkreis von ein paar hundert Metern um die
Hütte beschafft hatten. Darunter waren Krustentiere und eine
Ratte.
Bald hing dichter Rauch unterm geflochtenen Dach der Hütte.
All diese Verrichtungen fanden vor einem Hintergrund aus Grunzen,
Gemurmel, Rülpsen und Furzen statt. Es wurde kaum ein Wort
gesprochen.
Schrei war eine weitere Überlebende: Sie war das kleine
Mädchen, das die Vertreibung aus der alten Siedlung
überlebt hatte. Sie war durch diese Erfahrung gezeichnet. Sie
hatte immer gekränkelt und ›nah am Wasser gebaut‹. Nun
war sie siebzehn und eine erwachsene Frau, und Kieselstein – wie
auch Hände und Hyäne – hatten sich schon ein paar Mal
mit ihr gepaart. Aber sie war nicht schwanger geworden, und ihr
dünner und vergleichsweise zart gebauter Körper hatte
Kieselstein kein Vergnügen bereitet.
Es gab ein besonderes ökonomisches Arrangement zwischen
diesen Leuten. Männer und Frauen gingen üblicherweise
getrennt auf Nahrungssuche und aßen auch getrennt.
Diejenigen, die in der Nähe der Hütte nach Pflanzen,
Meeresfrüchten und Kleintieren suchten – meistens Frauen,
aber nicht nur –, kochten sie überm Feuer und verspeisten
sie mit Werkzeug, das sie aus örtlichen Ressourcen auf die
Schnelle herstellten. Diejenigen, die weiter ausschwärmten und
auf die Jagd gingen – meistens Männer, aber nicht immer
–, verzehrten den Großteil des erbeuteten Fleisches an Ort
und Stelle. Nur wenn noch etwas übrig blieb, nahmen sie es mit
nach Hause und verteilten es. Die Delikatesse, das Knochenmark, blieb
den Jägern vorbehalten, nachdem sie die Knochen in der Hitze des
Feuers geknackt hatten.
Daher waren die Frauen in ihrer Eigenschaft als Sammler die
Haupt-Ernährer der Gruppe und subventionierten in gewisser Weise
die Jagd der Männer. Allerdings bedeutete die Jagd seit jeher
mehr als nur Nahrungsbeschaffung. Die Jagdaktivitäten der
Männer wiesen immer noch Züge eitler Selbstdarstellung auf.
In dieser Hinsicht hatten die Leute seit Weits Zeit keine
großen Fortschritte gemacht.
In anderer Hinsicht waren Veränderungen eingetreten. Die
Steinwerkzeuge, die die Frauen für die Zubereitung der Nahrung
benutzten, waren schwer, doch die Oberflächen und Schneiden
wirkten unsauber im Vergleich zu den präzisen Steinäxten,
die Axt schon vor über einer Million Jahre zu fertigen vermocht
hatte. Doch bei aller Ästhetik war eine Steinaxt für die
meisten Aufgaben kaum besser geeignet als ein einfacher
scharfkantiger Steinsplitter. In härteren Zeiten hatten
Männer und Frauen lernen müssen, bei der Werkzeugfertigung
sich möglichst eng an der jeweiligen Aufgabe zu orientieren.
Unter diesem Druck hatte man sich vom Diktat der alten
Steinaxt-Schablone befreit. Ein mentales ›Tauwetter‹ hatte
eingesetzt. Obwohl in manchen Gegenden des Planeten die
Steinaxt-Hersteller noch immer mit ihren steinigen Erzeugnissen
hausieren gingen, waren dem Erfindungsreichtum und der Vielfalt nun
keine Grenzen mehr gesetzt, nachdem der sexuelle Erfolg nicht mehr
von der Schönheit steinerner Schneiden abhing.
Allmählich hatte sich eine neue Art der Werkzeugfertigung
etabliert. Ein Steinkern wurde so präpariert, dass man mit einem
einzigen Hieb einen großen Splitter in der gewünschten
Form abzuschlagen vermochte, der dann einer Feinbearbeitung
unterzogen wurde. Die Splitter hatten extrem scharfe Kanten, die
teilweise am ganzen Umfang nur die Dicke eines Moleküls
aufwiesen. Mit den entsprechenden Fertigkeiten vermochte man auf
diese Art und Weise eine ganze Werkzeug-Kollektion zu fertigen:
Äxte sowieso, aber auch Speerspitzen, Schneiden, Kratzer und
Stößel. Es war eine
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