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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf die Schulter. »Ich werde diese
Reise machen«, sagte er. »Für Osa und die anderen. Und
ich werde nicht dabei sterben.«
    Doch seine Mutter, mit zerzaustem ergrauendem Haar und verweinten
Augen, klagte nur noch lauter.
     
    Ejan war ein entfernter Nachfahre von Augen und Finger, den
Gefolgsleuten der ursprünglichen Mutter von Afrika.
    Nach Mutter war der Fortschritt der Menschheit nicht mehr nur auf
die Tausendjahres-Schritte der biologischen Evolution
beschränkt. Nun entwickelten Sprache und Kultur sich mit der
Schnelligkeit der Gedanken und wurden durch Rückkopplung immer
komplexer.
    Nicht lang nach Mutters Tod hatte ein neuer Exodus aus Afrika
eingesetzt, wobei eine große Anzahl von Leuten in alle
Richtungen ausgeschwärmt war. Ejans Leute waren nach Osten
gegangen. In den Fußstapfen von Weits Läufer-Spezies waren
sie am südlichen Rand Eurasiens entlang gewandert und hatten
sich dabei an den Küstenlinien und Inselgruppen orientiert. Nun
waren sie ein Volk, dessen Siedlungsraum sich in einem langen
Streifen von Indonesien und Indochina über Indien und den Nahen
Osten bis nach Afrika erstreckte. Und weil die Populationen langsam
wuchsen, waren Kolonisten von diesen Brückenköpfen entlang
der Flüsse ins Innere des Kontinents vorgestoßen.
    Ejan und Torr waren Sprösslinge der reinsten Linie der
Küstenwanderer, die die Wanderung an den Gestaden des Meeres
über viele Generationen hinweg fortgesetzt hatten. Um den
Reichtum der Flüsse, Flussmündungen, Küstenstreifen
und dem Festland vorgelagerten Inseln auszubeuten, hatten diese Leute
ihre Fertigkeiten des Bootsbaus und Fischens allmählich
perfektioniert.
    Doch nun steckten sie in einer Sackgasse. Auf diesem Archipel vorm
südwestlichen Zipfel des asiatischen Festlands waren sie am Ende
ihrer Reise angelangt: Sie hatten kein unbesiedeltes Land mehr vor
sich. Und langsam wurde es hier voll.
    Es bestand aber die Möglichkeit, weiterzugehen; jeder wusste
das.
    Obwohl die derzeitige Eiszeit den tiefsten Kältepunkt erst
noch erreichen musste, war der Meeresspiegel schon um ein paar
hundert Meter gefallen. Die Küstenlinien wurden neu gezogen, und
infolgedessen hatten die Inseln Java und Sumatra sich mit dem
südwestlichen Zipfel Asiens zu einem Schelf verbunden.
Indonesien war eine lange Halbinsel geworden. Gleichermaßen
waren Australien, Tasmanien und Neu-Guinea zu einer einzigen
großen Landmasse verschmolzen.
    In dieser einmaligen und temporären Geographie war die
asiatische Landmasse an manchen Stellen nur etwa hundert Kilometer
von Groß-Australien entfernt.
    Alle wussten um die Existenz des südlichen Lands. Kühne
oder auch verunglückte Seeleute, die von der Küste und den
vorgelagerten Inseln abgetrieben worden waren, hatten es gesichtet.
Niemand kannte seine wahre Ausdehnung, doch wusste jeder aus den
über die Generationen gesammelten Reiseberichten, dass das nicht
nur eine Insel war: Das war ein neues Land, weit, grün und
üppig mit einer langen und fischreichen Küste.
    Dorthin zu gelangen wäre eine beachtliche Leistung. Bis
hierher waren die Leute durch ›Inselhüpfen‹ gelangt,
indem sie über ein halbwegs ruhiges Meer von einem Stück
Land zum andern gefahren waren, das auch noch deutlich sichtbar war.
Die Überfahrt von dieser letzten Insel zum südlichen Land
– wobei man das Land ganz aus dem Blick verlieren würde
– wäre indes eine Herausforderung von einem ganz anderen
Kaliber.
    Dennoch würde sich für die Erschließung einer
neuen Welt nur jemand finden müssen, der kühn genug war, um
die Überfahrt zu wagen. Er müsste kühn genug sein,
intelligent genug – und Glück haben.
     
    Ejan nahm sich viele Tage Zeit, um einen geeigneten Baum
auszusuchen.
    Mit Torr an seiner Seite wanderte er durch die Randzonen der
Wälder und musterte Sterkulia-Pflanzen und Palmen. Er stellte
sich unter die Bäume, prüfte den Wuchs der Stämme und
schlug mit der Faust gegen die Rinde, um verborgene Fehler
aufzuspüren.
    Schließlich wählte er eine schöne dicke Palme aus,
die einen makellosen Stamm wie eine Säule hatte. Er war aber
weit von der Siedlung entfernt. Und nicht nur das; die Palme war auch
weit von jedem Fluss entfernt; sie würden nicht imstande sein,
sie nach Hause zu flößen.
    Torr wollte seine diesbezüglichen Bedenken schon
äußern, verkniff es sich aber, als er den Ausdruck in
Ejans Gesicht sah.
    Zuerst fällten die Brüder die Palme mit den
Steinäxten. Dann schälten sie die Rinde vom Stamm. Das
nackte Holz war so

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