Evolution
dieser
Wüsten-Nomade in die größte Stadt der Welt gebracht
wurde.
An der Stadtgrenze von Rom verbrachten sie die Nacht in einer von
Honorius gemieteten Villa.
Das auf einer niedrigen Anhöhe vor den Toren der Stadt
errichtete Gebäude war eine typische Villa im Stil der
imperialen Periode, deren Architektur von griechischen und
etruskischen Einflüssen kündete. Das Haus hatte viele
Zimmer und zog sich wie ein Hufeisen um ein Atrium. Im hinteren
Bereich befand sich ein Esszimmer, Studierzimmer und
Wirtschaftsräume. Zwei auf die Straße hinausgehende
Räume waren in Ladengeschäfte umgewandelt worden. Honorius
sagte ihm, dass das in den Tagen des Imperiums keine Seltenheit
gewesen sei und erinnerte Athalarich an den Laden, den seine Familie
früher geführt hatte.
Doch wie die Stadt, die sie überschaute, hatte auch die Villa
schon bessere Tage gesehen. Das impluvium, das Becken in der
Mitte des Atriums, war hastig ausgeschachtet worden –
anscheinend, um an die Rohrleitung aus Blei zu gelangen, die
früher Regenwasser kanalisiert hatte.
Honorius tat den heruntergekommenen Zustand mit einem Achselzucken
ab. »Das Anwesen hat stark an Wert verloren, als die Eroberer
kamen. So weit vor der Stadt ist es schwer zu verteidigen, wisst ihr.
Deshalb habe ich das Haus aber auch so günstig zu mieten
vermocht.«
An jenem Abend nahmen sie inmitten der verblichenen Pracht eine
Mahlzeit ein. Selbst der Mosaikfußboden des Esszimmers war
stark beschädigt; es hatte den Anschein, dass Diebe alle
Mosaiksteine heraus gebrochen hatten, die mit Blattgold verziert
gewesen waren.
Das Essen war kennzeichnend für die pan-eurasische
Vermischung, die auf die Expansion der bäuerlichen
Gemeinschaften gefolgt war. Die Hauptnahrungsmittel waren Weizen und
Reis aus dem ursprünglichen anatolischen Anbaugebiet, die indes
durch Quitten aus dem Kaukasus, Hirse aus Zentralasien, Gurken, Sesam
und Zitrusfrüchten aus Indien sowie Aprikosen und Pfirsichen aus
China angereichert wurden. Diese transkontinentale Speise war ein
alltägliches Wunder, das von den Essern aber nicht als solches
wahrgenommen wurde.
Am nächsten Tag brachten sie den Skythen in die Stadt.
Sie gingen auf den Palatin, das Kapitol und aufs Forum. Der Skythe
schaute sich mit seinen Falkenaugen prüfend um, als ob er
irgendwie Maß nähme. Er trug noch immer die
Wüstenkluft aus schwarzem Tuch und hatte sich das rote Tuch um
den Kopf gewickelt; das musste in Roms feuchter Luft unangenehm
gewesen sein, aber er zeigte keinerlei Anzeichen von Unwohlsein.
»Er scheint nicht sonderlich beeindruckt«, murmelte
Athalarich an Papak gewandt.
Plötzlich blaffte der Skythe etwas in seiner rauen, alten
Sprache, und Papak dolmetschte. »Er sagt, nun wüsste er
auch, weshalb die Römer Sklaven, Gold und Lebensmittel aus
seiner Heimat brauchten.«
Honorius schien sich darüber zu freuen. »Er mag ein
Wilder sein, aber er ist kein Narr. Und er lässt sich auch nicht
einschüchtern, nicht einmal vom mächtigen Rom. Gut für
ihn.«
Außerhalb der Bereiche mit den Prunkbauten war Rom ein
Labyrinth aus Straßen und engen, düsteren Gassen, das
Ergebnis einer über tausendjährigen Stadtentwicklung. Viele
der hiesigen Mietskasernen hatten fünf oder sechs Etagen.
Allerdings drohten die Häuser jederzeit einzustürzen, denn
sie waren von skrupellosen Vermietern errichtet worden, die aus jedem
Zipfel des wertvollen Lands möglichst viel Profit schlagen
wollten. Auf der Wanderung durch abfallübersäte,
ungepflasterte Straßen mit Gebäuden, die so dicht
beieinander standen, dass sie sich an den Giebeln fast
berührten, hatte Athalarich das Gefühl, durch eine
große labyrinthartige Kanalisation zu gehen – wie eine der
berühmt-berüchtigten cloacae, die unter Rom zum
Tiber verliefen.
Die Menschen auf den Straßen trugen Gesichtsmasken aus Gaze,
die mit Öl getränkt oder mit Gewürzen behandelt waren.
Kürzlich waren nämlich wieder die Windpocken ausgebrochen.
Krankheiten waren überhaupt eine ständige Bedrohung:
Die Menschen sprachen noch immer über die verheerende Seuche
des Antoninus vor dreihundert Jahren. In den Jahrtausenden seit dem
Tod von Juna hatte der medizinische Fortschritt die großen
Seuchen kaum einzudämmen vermocht. Die großen
Handelsrouten hatten die Bewohner Europas, Nordafrikas und Asiens zu
einem einzigen riesigen Nährboden für Mikroben vereinigt,
und dass die Menschen sich zunehmend in Städten mit
unzulänglicher oder gar keiner Kanalisation drängten,
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