Evolution
die
Azhdarchiden-Mutter die Ankunft des gewaltigen Sturms. Hastig faltete
sie die Schwingen zusammen und watschelte auf Knöcheln und Knien
zum Nest zurück.
Die Jungen scharten sich um sie, aber sie hatte kein Futter
für sie. Die Babys pickten sie zornig. Sie waren noch immer ohne
Flügel; die Flügelmembranen mussten sich erst noch
entwickeln. Im Moment hatten sie nur labbrige, nutzlose Hautlappen
zwischen Flugfingern und Hinterbeinen. Und doch waren sie auf ihre
Art schon Schönheiten: Die Schuppen, die sich wie eine Krause um
den dünnen Hals zogen – ein Relikt der Reptilienherkunft
–, reflektierten schimmernd und funkelnd das Sonnenlicht.
Die Sonne wurde von Wolken verdüstert. So hoch reichten die
Tornados zwar nicht. Trotz der großen Entfernung von der
Einschlagstelle war die Schockwelle aber noch immer eine massive
brodelnde Wand aus aufgewühlter Luft.
Die erste Bö fegte übers Nest hinweg. Die Babys
kreischten und taumelten.
Instinktiv spreizte das Muttertier die Schwingen und schwang sich
in die Luft. Ein archaischer Imperativ hatte die Oberhand gewonnen.
Sie vermochte neue Eier zu legen, wenn sie überlebte. Die unter
ihr zurückfallenden Jungen kreischten zornig und
ängstlich.
Als die Sturmfront sich näherte, trat ein Moment der Stille
ein.
Die Fluggeschwindigkeit des Azhdarchiden fiel abrupt ab. Er drehte
sich und spreizte in einer instinktiven Reaktion die Flügel. Er
streckte den Flugfinger und das Hinterbein aus und regelte mit
leichten Schenkel- und Kniebewegungen die Flügelspannung. Er war
ein hervorragendes Fluggerät, ein Apparat aus Sehnen,
Bändern, Muskeln, Haut und Pelz, der von Dutzenden Jahrmillionen
der Evolution geformt worden war.
Doch das war dem vom Kometen verursachten Sturm egal.
Der Wind traf zuerst das Nest. Es wurde vom Felsvorsprung gefegt
und zertrümmert. Die Knochen der Pterosaurier-Opfer –
einschließlich der von Zweiter – wurden mit dem Rest der
Abfälle durch die Luft gewirbelt. Und die Babys flogen: wenn
auch nur kurz, wenn auch nur einmal, wenn auch nur in den Tod.
Und dann hatte die Azhdarchiden-Mutter das Gefühl, gegen eine
Wand aus Staub und Dreck zu fliegen, die noch dazu mit
Pflanzenresten, Holz und Steinen durchsetzt war. Sie spürte, wie
die leichten Knochen brachen und wurde hilflos wie ein Blatt
herumgewirbelt.
Wieder rappelte Suchomimus sich auf. Er hatte Schmerzen am ganzen
Körper, wo er von umher fliegendem Schutt getroffen worden war
– den Trümmern seiner Welt.
Erneut hatte der Strand sein Gesicht verändert. Der Boden war
nun mit Schutt von der Landseite übersät, mit Resten
zerschmetterter Bäume und zerfetzter Tiere, mit toten und
sterbenden Pterosauriern und Vögeln und sogar mit Schlick vom
Seeboden. Nichts regte sich – nichts außer sterbender
Kreatur und Suchomimus.
Er erinnerte sich an den Fisch, den er hatte verspeisen wollen.
Der Fisch war verschwunden.
Über ihm zogen dunkle Wolken wie ein fallender Vorhang am
Himmel entlang. Die Sonne verschwand und sollte sich für lange
Zeit auch nicht mehr zeigen.
Und im Süden glühte das Firmament in einem unheimlichen
Orange. Eine Brise trug einen stechenden, unverkennbaren Geruch
heran. Ozon. Der Geruch des Meeres. Suchomimus dachte an
plätscherndes Wasser und die glitzernden Fische in den Untiefen.
Er musste das Meer erreichen. Er hatte immer vom Meer gelebt; dort
wäre er sicher. Mit einem traurigen Laut, den nicht einmal er
selbst hörte, folgte er dem Geruch und achtete nicht auf den
grausigen Schutt unter den Füßen.
Die Meeresschildkröte hatte Glück gehabt. Als der Komet
einschlug, kreuzte sie weit von der Einschlagstelle entfernt
über dem Meeresboden.
Ihre Art gehörte zu den primitivsten Reptilienstämmen.
Trotzdem war diese Schildkröte ein guter Jäger. Sie war
anspruchslos und brauchte nur ein Zwanzigstel der Nahrung wie ein
Dinosaurier mit dem gleichen Gewicht. Durch den verstärkten
Panzer war sie gut geschützt und ließ auch als Jäger
Vorsicht walten. Deshalb bestanden die einzigen Lebensrisiken im
alljährlichen Lauf an den Strand, den sie zur Eiablage
durchführen musste, um dann wieder in die Sicherheit des Wassers
einzutauchen.
Sie hatte ein kleines Hirn mit einem trüben Bewusstsein und
lebte allein in einer Welt farbloser Eintönigkeit. Sie hatte
keine Bindungen zu ihren Eltern und Geschwistern und wusste auch
nicht, dass die Eier, die sie ablegte, eine neue Generation
hervorbringen würden. Aber sie war alt, erfahren und
geduldig.
Doch
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