Evolution
Miacoiden. Die
hässlichen wieselgroßen Tiere drangen hin und wieder in
Bauten ein und waren Aasfresser, die sich über die Beute anderer
Räuber hermachten. Die Miacoiden waren eine scheußliche
Art und zugleich die Vorfahren der Großkatzen, Wölfe und
Bären späterer Zeiten. Und sie vermochten auf Bäume zu
klettern.
Nun bewegte die fürsorgliche Mutter sich auf dem Ast entlang
und suchte nach einem halbwegs sicheren Ort, an dem sie Links
zurückzulassen vermochte. Aber das stärkere Kind
fühlte sich ganz wohl, wo es war, und klammerte sich am
Bauchfell der Mutter fest. Nachdem sie ein paar Mal versucht hatte,
das Kind mit sanfter Gewalt von sich zu lösen, gab sie es auf.
Mit dem warmen Gewicht ihrer Tochter beladen stieg es über eine
Leiter aus Ästen zum Boden hinab.
Währenddessen streifte Noth auf allen vieren über die
dicke Schicht aus verrottendem Laub.
Die hiesigen Bäume waren Laubbäume. Jeden Herbst warfen
sie die großen, geäderten Blätter ab, die den Boden
mit einer Schicht Biomasse bedeckten. Die Matte, auf der Noth ging,
bestand überwiegend aus dem Laub des letzten Herbsts, das in der
Winterkälte gefroren war, ehe es zu vermodern vermochte. Doch
nun wurden die Blätter schnell kompostiert, und kleine Fliegen
schwirrten durch die diesige Luft. Es gab auch Schmetterlinge, deren
bunte Flügel als huschende Farbkleckse mit dem schmutzigen Boden
kontrastierten.
Noth war auf Nahrungssuche. Er bewegte sich langsam und war sich
der Gefahr bewusst. Er war nicht allein hier.
Zwei dicke Taeniodonten zogen Furchen durch den Boden; die
Gesichter hatten sie in den vermodernden Blättern vergraben. Sie
sahen wie Wombats aus und benutzten die kräftigen Vorderbeine,
um auf der Suche nach Wurzeln und Knollen im Schmutz zu wühlen.
Sie wurden von einem Jungen gefolgt, einem tapsigen Bündel, das
fortwährend gegen die Beine der Eltern stieß und sich
durch die dicke Laubschicht kämpfte. Ein Paläonodont
stocherte mit der langen Ameisenbären-Schnauze nach Ameisen und
Käfern. Und hier war ein einzelnes Barylambda, ein plumpes
Geschöpf wie ein Faultier mit muskulösen Beinen und einem
kurzen spitzen Schwanz. Diese Kreatur, die missmutig im Dreck
wühlte, hatte die Größe einer Dänischen Dogge.
Ihre Verwandten im offenen Land erreichten jedoch die
Größe von Bisons und zählten zu den
größten Tieren ihrer Zeit.
In einer Ecke der Lichtung machte Noth die langsame Bewegung eines
Primaten aus, der einer anderen Adapiden-Art angehörte. Aber er
hatte keine Ähnlichkeit mit Noth. Wie die Herrscher des
Tierreichs späterer Zeiten sah auch diese träge Kreatur
eher aus wie ein tapsiges Bärenjunges als ein Primat. Sie
bewegte sich fast geräuschlos durch den Kompost und
schnüffelte am Boden. Dieser Adapide hielt sich generell tiefer
im Wald auf, wo seine Langsamkeit kein so großes Handicap war
wie im freieren Gelände. Hier war er mit den langsamen und
lautlosen Bewegungen fast unsichtbar für Räuber – und
für die Insekten, die seine Beute waren.
Noth rümpfte die Nase. Dieser Adapide setzte Duftmarken mit
Urin; bei jedem Streifzug durch sein Revier urinierte er
gründlich auf Hände und Füße, um seine Signatur
zu hinterlassen. Mit dem Ergebnis, dass es für Noths feine Nase
übel stank.
Noth fand einen umgestürzten Bienenstock und nahm ihn ebenso
neugierig wie vorsichtig in Augenschein. Bienenstöcke waren eine
relativ neue Erscheinung – Teil einer Explosion von
Schmetterlingen, Käfern und anderen Insekten. Der Stock war
leer, aber er enthielt noch reichlich Honig.
Doch bevor er sich am Honig labte, stellte Noth die Lauscher auf
und sog schnüffelnd die Luft ein. Seine Nase sagte ihm, dass die
anderen noch hoch in den Bäumen und weit weg waren. Er
müsste in der Lage sein, die Leckerei zu verspeisen, bevor sie
ihn erreichten. Aber er dürfte es nicht. Das galt es zu
berücksichtigen.
Noth nahm unter den Männchen seiner Gruppe einen niederen
Rang ein. Von Noth wurde erwartet, dass er es den anderen meldete,
wenn er Nahrung gefunden hatte. Dann würden die anderen
Männchen und Weibchen kommen, sich am Honig gütlich tun und
– wenn Noth Glück hatte – ihm etwas übriglassen.
Wenn er nichts von sich hören ließ und mit dem Honig
erwischt wurde, würde man ihn verprügeln und das restliche
Futter wegnehmen, sodass er gar nichts mehr hätte. Andererseits,
wenn er nicht erwischt wurde, könnte er den ganzen Honig
schlabbern und entginge auch einer Bestrafung…
Die Entscheidung war
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