Evolution
größere
Ähnlichkeit mit einem Wasser- als mit einem Land-Lebewesen.
Bald würde diese Art auf Dauer im Meer untertauchen.
Schädel und Hals würden kürzer und die Nase
zurückversetzt werden, und die Ohren würden sich
schließen, sodass der Schall durch eine Fettschicht
übertragen würde. Zuletzt würden die Beine sich in
Flossen verwandeln – wobei mehr Knochen hinzukamen –, und
die nutzlos gewordenen Zehen würden sich zurückentwickeln
und schließlich verschwinden. Wenn sie die weiten Räume
des Pazifik und Atlantik erreichte, würde sie wachsen und im
Vergleich zur jetzigen Größe so groß werden wie ein
Mensch im Verhältnis zu einer Maus. Dennoch würden diese
mächtigen, im Meer lebenden Nachkommen das Erbe der
Geschöpfe – wie fossile Knochen und molekulare Spuren
– in sich tragen, die sie einst gewesen waren.
Der wandernde Wal starrte die zwei furchtsamen Primaten
verständnislos an. Dann entschied er, dass dieser
überfüllte Strand doch kein so guter Platz zum Sonnenbaden
sei. Er bog den Rücken durch und schwamm elegant davon.
Als das Licht erlosch, zogen Noth und Rechts sich in den Schutz
der Bäume zurück. Doch die Äste waren nun alle kahl
und boten ihnen kaum Deckung. Sie schmiegten sich in einer Astgabel
aneinander.
Die Pflanzenfresser kamen platschend aus dem Wasser, und die
Familien fanden durch Rufe zueinander. Und die Stimmen der
Räuber ertönten: Ein raues, hundeartiges Bellen und
löwenartiges Knurren hallte im lichten Wald wider.
Mit zunehmender Kälte spürte Noth, wie eine Starre von
ihm Besitz ergriff. Aber er fror und saß hier mit seiner
kleinen Schwester fest – weit entfernt von der kuscheligen
Wärme der Sippe.
Und dann wurde er zu seiner Überraschung durch einen starken
Moschusduft aus dem Schlaf gerissen.
Plötzlich war er von Notharctus umgeben. Es wimmelte nur so
von ihnen. Sie waren auf den Ästen über und unter ihm. Die
dicht gedrängten Gestalten hatten die Beine unter sich
angewinkelt und ließen die langen, dicken Schwänze
herabbaumeln. Der Geruch sagte ihm, dass sie von seiner Art, aber
nicht mit ihm verwandt waren. Er hatte ihre Duftmarken nicht
früher entdeckt, denn die Markierungen waren von Frostschichten
versiegelt. Dafür hatten die fremden Notharctus ihn
entdeckt.
Zwei kräftige Weibchen ließen sich, vom Geruch des
Babys angelockt, in der Nähe nieder. Eine, die er als
Größte bezeichnete, stieß die andere – die nur
Groß war – weg und nahm Rechts in Augenschein.
Noths Gedanken jagten sich. Er wusste, ihr Leben hing davon ab,
dass sie von dieser neuen Gruppe akzeptiert wurden. Also streckte er
die Hand nach dem Weibchen aus, das ihm am nächsten war und
bohrte vorsichtig die Finger ins Fell der Hinterläufe.
Groß fand Gefallen am Kämmen und streckte wohlig die Beine
aus.
Als jedoch Größte dessen ansichtig wurde, stieß
sie einen Schrei aus und schlug sie beide. Noth kauerte sich zitternd
zusammen.
Noth war schlau genug, um seinen Platz auf der sozialen Leiter zu
erkennen – in diesem Fall auf der untersten Sprosse. Aber seine
soziale Kompetenz hatte auch ihre Grenzen. Genauso wenig, wie er die
Ansichten und Wünsche anderer zu erkennen vermochte, hatte er
die Intelligenz, den relativen Rang anderer in einer Gruppe zu
beurteilen. Er hatte einen Fehler gemacht: Größte stand
rangmäßig über Groß, und sie erwartete, dass
dieses neue Männchen sich zuerst ihr widmete.
Also wartete Noth, während Größte mit der
schläfrigen Rechts spielte. Schließlich ließ
Größte zu, dass Noth sich ihr näherte und das dichte
miefige Fell kraulte.
III
Die Tage wurden kürzer, und die Nächte länger. Bald
gab es nur noch für ein paar Stunden am Tag Licht, und die
Intervalle zwischen der Dunkelheit wurden nur noch von einem
rosig-grauen Zwielicht unterbrochen.
Im Wald herrschte nun Stille. Die meisten Vögel und die
großen Pflanzenfresser-Herden waren längst verschwunden
und waren gen Süden in wärme Klimazonen gewandert. Das
ohrenbetäubende Kreischen war mit ihnen verschwunden. Die
summenden Insektenschwärme des Hochsommers waren nur noch eine
Erinnerung – die Larven und tief vergrabenen Eier schliefen
traumlos. Die großen Laubbäume hatten das Laub abgeworfen.
Es lag nun in dicken Schichten am Boden und war durch den Dauerfrost
zusammengeschweißt. Die kahlen Baumstämme und blattlosen
Äste würden erst dann wieder ein Lebenszeichen zeigen, wenn
in ein paar Monaten die Sonne zurückkehrte. Am Boden
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