Evolution
einer Handvoll
zerstampfter Blätter. Allmählich schloss die Lücke im
Floß sich wieder, als ob es sich selbst heilte. Die Anthros
kauerten sich zusammen. Sie waren sogar zu mitgenommen, um sich zu
kämmen.
Und die Sonne stieg am westlichen Himmel hinab – in der
Richtung, in die sie hilflos trieben.
III
Die Tage und Nächte folgten endlos aufeinander. Es war nichts
zu hören außer dem Knarren der Äste und dem leisen
Plätschern der Wellen.
In den Nächten hing ein erdrückender Himmel über
ihnen, vor dem Streuner sich am liebsten verkrochen hätte.
Doch im Licht des Tages, unter der grellen Sonne oder grauen
Wolken, sah sie nichts außer dem Meer. Es gab weder Wald noch
Land oder Hügel. Sie roch nichts außer Salz, und es
drangen weder die Rufe von Vögeln oder Primaten noch das
Trompeten von Pflanzenfressern an ihr Ohr. Das Wasser der
Flussmündung hatte sich inzwischen mit dem Meerwasser vermischt,
und selbst der Schutt, der vom schrecklichen Sturm ins Meer
gespült worden war, hatte sich zerstreut und driftete hinterm
Horizont seinem Schicksal entgegen.
Das Floß selbst war leer geworden.
Die Anthracothere-Kadaver, die in den Ästen des Mango-Baums
festgesteckt hatten, waren längst verschwunden. Der letzte
Rostrote war auch nicht mehr da. Vielleicht war er ins Meer gefallen.
Das Indricotherium war angeschwollen, während die Bakterien in
seinen Gedärmen sich nach draußen fraßen. Doch die
unsichtbaren Münder des Meers hatten sich auch am Indricotherium
zu schaffen gemacht und fraßen es von unten auf. Nachdem er
immer mehr Fleisch verloren hatte, war der mächtige Kadaver
schließlich zusammengefallen und ins Meer gerutscht.
Die Anthros hatten längst alle Früchte verzehrt.
Sie versuchten das Laub zu essen. Anfangs gewannen sie daraus
wenigstens einen Mund voll Wasser, das für eine Weile den Durst
stillte. Aber der entwurzelte Baum war tot, und die restlichen
Blätter verschrumpelten bald. Und anders als der
unglückliche Dickbauch vermochten die Anthros eine so grobe
Nahrung auch nicht zu verdauen, und sie verloren in dem
wässrigen Kot, den sie ausschieden, nur noch mehr
Flüssigkeit.
Streuner war ein kleines Tier, das für ein Leben in der
Sicherheit des Waldes geschaffen war, wo es Nahrung und Wasser im
Überfluss gab. Im Gegensatz zu einem Menschen, dessen
Körper dafür ausgelegt war, eine lange Zeit im Freien zu
überleben, hatte sie nur sehr wenig Fett, das die
Haupt-Brennstoffreserve eines Menschen ist. Streuners Zustand
verschlechterte sich zusehends. Bald wurde ihr Speichel dick und
schmeckte faulig. Die Zunge klebte am Gaumen fest. Sie hatte starke
Schmerzen in Kopf und Hals, weil die trocknende Haut sich
zusammenzog. Die Stimme wurde brüchig, und sie schien einen
harten, schmerzenden Knoten im Mund zu haben, der einfach nicht
verschwinden wollte, so oft sie auch schluckte. Sie und die anderen
Anthros hätten aber noch mehr gelitten, wenn der bewölkte
Himmel die grelle Sonne nicht meistens ausgeblendet hätte.
Manchmal träumte Streuner. Der tote Mangobaum erblühte
plötzlich, die Wurzeln bohrten sich wie Primatenfinger in den
harten Meeresboden, die Blätter ergrünten und wedelten wie
kämmende Hände, und dicke Fruchtstände zierten den
Baum. Sie pflückte die Früchte, öffnete sie sogar und
tauchte das Gesicht ins klare Wasser, mit dem jede Schale
seltsamerweise gefüllt war. Und dann kamen ihre Mutter und
Schwestern, wohlgenährt und voller Spannkraft und kämmten
sie.
Doch dann verschwand das Wasser, als ob es in der heißen
Sonne verdunstete, und sie wurde gewahr, dass sie nur an einem
Stück Rinde oder einer Handvoll trockener Blätter
kaute.
Fleck hatte einen Eisprung.
Weißblut machte als Alpha-Männchen dieser kleinen
verlorenen Gemeinschaft schnell seinen Anspruch geltend. Weil sie
nichts anderes zu tun hatten und auch nirgends hinzugehen vermochten,
kopulierten Weißblut und Fleck oft – manchmal zu oft, und
dann handelte es sich nur um eine ›Trockenübung‹ mit
ein paar mechanischen Stößen.
Normalerweise wären wahrscheinlich auch Rangniedere wie die
Brüder imstande gewesen, sich in diesen frühen Tagen des
Eisprungs mit Fleck zu paaren. Weißblut, der aus einer Vielzahl
potentieller Partnerinnen zu wählen vermochte, hätte sie
erst dann vertrieben, wenn der Gipfel von Flecks Fruchtbarkeit nahte
und damit die beste Chance, sie zu schwängern.
Das wäre nämlich auch in Flecks Interesse gewesen. Mit
der Schwellung wollte sie
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