Ewig Böse
kannte diese Zahlen. Und dann konnte ich sie fast hören, sie kamen rhythmisch auf mich zumarschiert, eine Tonspur mit schwerem Bass, langsamem Tempo und einem Bone-Thugs-Backgroundchor.
Die 22er ist für dich
Weil ich meine Knarren liebe
Die 38er ist für den Hass
Behandle sie wie meine Söhne
Die 44er ist für Huren
Weil ich meine Knarren liebe
Null-sechs ist für die Bullen
Die meinen Bruder eingeknastet haben
Weil er seine Knarren liebte
Die AK ist für den Staat
Fühlst du den weißen Hass?
Nehmt eure Knarren, ihr Motherfuckahs
Die aufgehende Sonne der Revolution
Da fühlt man sich wie ein Mann
Auf zur Revolution, mein Sohn
Das war ein Ghost-Song, »Nur über meine Leiche«. Die Zahlen standen für Waffen, Kaliber. Ein Zufall? Mir sagten sie nur etwas, weil ich den Song kannte, und ich bezweifelte, dass ein Kind seine Spindkombination aus Kalibern zusammenstellte. Als ich zur Schule ging, konnte man sich die Kombination nicht aussuchen. Man kaufte das blöde Schloss im Laden, und die Zahlen waren voreingestellt. Ich wollte die Schublade gerade zuschieben, als mein Blick auf etwas Weißes, Glänzendes fiel – noch ein Foto. Ich drehte es um.
Ein Weihnachtsbaum mit Haufen von zerknülltem Geschenkpapier. Ein jüngerer Aaron saß in einem Strampelanzug auf dem Boden. Neben ihm ein großer Plüschbär, der Kenneth-Bär, die Augen rot vom Blitzlicht der Kamera.
Der Bär. Sie hatte mich angelogen. Annette hatte Aarons Bären in meinem Haus deponiert. Wann? Warum? Was wollte sie damit erreichen? Und was, wenn sie nicht gelogen hatte, sondern sich einfach nicht mehr daran erinnern konnte?
Ich legte das Foto zurück und schloss die Schublade.
Neben dem Multimedia-Center auf dem Boden, unauffällig, so dass ich sie auf den ersten Blick nicht bemerkt hatte, stand eine blaue Truhe mit Lederschlaufen. Ich hatte als Kind genau so eine in Grün gehabt, voller Plastiksoldaten und Mikronauten. Das Schloss war zugeschnappt, aber ich schob den Messingriegel mit einem Kuli zurück, den ich in einer Schreibtischschublade entdeckte. Drinnen befand sich Aarons Musiksammlung. Während ich die Finger über die Rückseiten der CD -Hüllen gleiten ließ, wurde mir schwindlig.
Neunzig Prozent der Kollektion stammten von einem einzigen Künstler.
Dem bösen.
Ich fand Ghosts erstes Titelblatt auf dem Rolling Stone und schlug die Kritik auf, die dem Monster den Weg in die Welt geebnet hatte.
Eltern, Lehrer und hirntote Promis, seid gewarnt – euch steht ein Generalangriff bevor. Ghost, ein weißer Rapper kalt wie Eis, aber alles andere als süß, hat sein Meisterwerk abgeliefert, mit Sicherheit einen Hip-Hop-Meilenstein der Selbstzerfleischung. Auf sechzehn diabolischen Tracks, produziert von seinem Mentor PhD-Jay, kombiniert Autotopsy unglaublich elegante Wortspiele, nicht weniger als drei Persönlichkeiten (abwechselnd kriminell, komödiantisch und gepeinigt) und absurde Splatter-Schlächtereien auf geradezu genial abscheuliche Weise. Möglicherweise das erste Rap-Album, das gleichermaßen eine Generation von Tweenies mit ADS -Syndrom, verzogene Bälger, verzweifelte Hausfrauen und andere anspricht, die sich ihre Audio-Pillen, Gonzo-Pornos und explodierenden Köpfe à la Tarantino gerne als blutgetränktes Potpourri auf einer Mischung aus Messern, Skimasken, Hexen und Splatter-Massakern scratchen lassen …
In dem Stil ging es noch eine halbe Seite lang weiter. Sie gaben dem Album fünf Sterne. Aber die hatten alle Alben von Ghost bekommen, außer Snuffed , das letzte, von dem jeder wusste, dass es ein Riesenhaufen Scheiße war, sogar Ghost, der es am Ende als sein Der Pate III bezeichnet hatte. In der Truhe waren noch ein gutes Dutzend weiterer Ovationen dieser Art gehortet, all die Kritiken, die meinen ehemaligen Arbeitgeber zur Nummer eins gemacht hatten.
Aber das war nicht alles. Der kleine Aaron war im reifen Alter von acht (neun? zehn?) kein x-beliebiger Ghost-Fan gewesen. Er besaß die gesamte Kollektion. Alle fünf Studioalben, den Soundtrack zu Ghosts Film Haunted Tracks , die Singles, selbst die Import- CD s. Außerdem hatte er die Playa-Sammelkarten und Ghosts Markenzeichen, Converse-Turnschuhe (Größe 5, nie geschnürt), einen weißen Minitrainingsanzug, dazu ein halbes Dutzend Konzert-T-Shirts und – eingeschweißt und mit grünem Filzer signiert – eine Replika des Schweißbands mit Totenkopf und gekreuzten Knochen, das Ghost auf der Bühne trug, damit sein Mikro keinen Kurzen bekam. Für
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