Ewig Böse
herrscht Stille, aber zu anderen Zeiten zittern die Wände unter dem Lärm von Elektrowerkzeugen. Er singt in der Küche. Das Wasser läuft stundenlang. Eines Nachts höre ich Schüsse im Garten. Hunderte. Als er danach herunterkommt, rieche ich das Schießpulver aus zehn Meter Entfernung, und von seinem Haar und den Händen steigt blauer Rauch auf.
Entgleitet. Entgleitet. Entgleitet.
Er kommt auf Händen und Füßen über den Boden gekrochen. Sieh her, sieh her. Er öffnet den Safe und zeigt mir eine vernickelte 45er, die er Aarons Kanone nennt. Er sagt, es sei ein Unfall gewesen. Er wollte sie dem Jungen nur zeigen. Er wollte dem Jungen nur etwas beibringen. Er war doch immer dabei. Er weint. Wie hätte er denn wissen können, dass der Junge ihn beobachtet und sich die Kombination merkt? Er war doch nur in Wut geraten, sonst nichts. Sah den Jungen mit der Waffe in der Hand, und da brannte eine Sicherung durch. Er schrie und warf sich auf den Jungen, aber der ließ nicht los, ließ einfach nicht los. Es war ein Unfall, das verstehst du doch. Er hatte versucht, es Arthur zu erklären, aber Arthur konnte man nicht trauen. Sie hatten Arthur die Musik vorgespielt und gesagt, siehst du, siehst du, wo er das herhat? Sie ist eine Krankheit, diese Musik.
Arthur hatte ihn nie gemocht. Arthur erlitt auch einen Unfall.
Er steckt mir die 45er in den Mund. Er weint.
Die Zeit entgleitet.
Er hat wieder meine Spritze vergessen. Spät in der Nacht, ich schreie in der Dunkelheit und flehe den Wärter um eine Dosis an. Er schlurft verschlafen die Treppe herunter und steckt mir die Nadel in die Schulter. Es wirkt nicht. Vielleicht waren es Vitamine. Oder Luft. Meine Schulter schwillt an wie ein Ballon. Er streicht mir übers Haar und sagt, ich soll mit diesen Geräuschen aufhören. Ich weiß gar nicht, was er meint. Er hält über Nacht Wache an meinem Bett und nennt mich Ghost, denn James ist tot, und so war es immer, das ist die Wahrheit. Ich weiß, was du durchmachst. Das hier ist auch mein Gefängnis. Er sagt, wir sind Zellengenossen und sitzen unsere Zeit gemeinsam ab.
Die Zeit …
Er sagt, all die Schnitte wären nur oberflächlich. Bis auf den einen, der mir das linke Ohrläppchen abgetrennt hat. Ich weine und frage nach meinem Ohr, bitte, ich will es wiederhaben. Niemand hat das Recht, mir das Ohr wegzunehmen. Ich betaste die raue Schnittkante, und er sucht beinahe zehn Minuten lang, bevor er es in der Kreide vom Shuffleboard entdeckt. Als er es mir bringt, sieht es aus wie eine in Mehl gewälzte Minikugel Pizzateig. Er fragt mich, ob ich es zurückhaben will, und als ich den Kopf schüttele, isst er es auf wie eine Oblate bei der Kommunion.
… entgleitet.
In den Träumen verfolgt mich der Junge mit der schwarzen Kapuze, ständig ist er hinter mir her. Er kann endlos rennen und rennen, seine Arme hängen steif an den Seiten herab, während das weiße Gesicht hinter mir herschwebt, und egal, wie schnell ich laufe, er hält immer Schritt. Ich renne über Felder und Hügel, durch menschenleere Straßen und verlassene Häuser, und ich lasse ihn hinter mir, einen Kilometer weit, drei, zehn. Nachdem ich tagelang gelaufen bin, komme ich in einem fremden Land an. Ich finde das leere Haus und den Schrank und zwinge mich, den Atem anzuhalten und mich lautlos in einer Ecke zu Boden sinken zu lassen, und dann, gerade als ich denke, ich wäre ihm entkommen und hätte das perfekte Versteck gefunden, öffnet sich die Schranktür.
Seine Füße sind zwei junge weiße Tauben auf dem Teppichboden.
Ich bin aus Seidenpapier, dünn wie Schmetterlingsflügel. Bitte tu es nicht wieder. Ein einziger kleiner Schnitt, und ich blute aus allen Poren. Seine Augen fehlen. Sein Unterkiefer ist weiß, und seine Hände gleiten aus der Bauchtasche mit dem Skalpell, und alles fängt von vorne an.
Ich kann nicht aufhören zu schreien, selbst wenn ich wach bin.
Er hat mir Zigaretten gegeben. Mir die Zehennägel geschnitten. Er hat mit mir zusammen Die blaue Lagune angesehen und gesagt, es sei die Geschichte von Rick und Annette.
Jemand lachte.
Ihr Vater saß immer noch im Gefängnis von Gainesville, weil er die Finger nicht von kleinen Kindern lassen konnte, ihren Freunden. Ihre Mutter starb an einem Gehirnaneurysma, als sie noch zur Grundschule gingen. Als Annette vierzehn war, sah Rick, wie ihr Körper sich veränderte. Er begleitete sie von der Schule nach Hause, und ihre Freunde lachten ihn aus. Er beschützte sie vor ihren Freunden, was eine
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