Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
Vom Netzwerk:
passiert, wie immer.
    Die Magazine waren geladen. Ich schob eines ein und war sofort zu allem bereit. Am Griff der Halbautomatik hing eine zusammengefaltete Notiz, in überraschend sauberer, kursiver Handschrift. Die Nachricht, die aus einem Songtext von Ghost hätte stammen können, lautete:
    Denk dran,
    Die Schlampe hat ne Psycho-Sicherung
    Finger vom Abzug = sicher
    Finger am Abzug = bereit
    Kannst sie fallen lassen, die Glock, entspann dich
    bläst dir deine verfickten Zehen
    schon nicht weg
    Sonntagmorgen. Stacey war seit einem Jahr tot.
    Während ich so auf der Couch lag und dachte, heute ist der Tag, wurde mir bewusst, dass ich mich ohne Foto nicht mehr an ihr Gesicht erinnern konnte. Das Gesicht aus Mr Ennis’ Haus war nur ein verschwommener Schemen gewesen, den ich verzweifelt zu vergessen versuchte. Ich erinnerte mich an ihre festen Schenkel und die gerundeten Waden. An ihren sonnengebräunten Bauch mit dem Rubinstecker im Nabel. Die blau, grün, schwarz angemalten Fingernägel, niemals rot. Ich konnte mir ihre Haare noch ins Gedächtnis rufen, den dichten weißen Schopf. Ich wusste, dass sie blaue Augen gehabt hatte, konnte mich aber nicht an das tröstliche Leben in ihnen erinnern. Ihre Kinn- und Nasenlinie, die Konturen ihrer Ohren – die Details entglitten mir, und damit auch das Ganze.
    Zum ersten Mal seit Monaten bedauerte ich, die Fotos weggeworfen zu haben. Alles, was ich mit geschlossenen Augen noch vor mir sah, waren die Bilder danach, die zerbrochene Puppe, und dafür war heute der falsche Tag.
    Ich verbrachte den Morgen damit, mich nach Waffeleisen umzusehen. Stacey hatte sich immer eines gewünscht, aber mein Argument dagegen war gewesen, dass es bloß eines dieser Küchengeräte war, die man ein einziges Mal verwendet, weil man merkt, was für ein Riesenaufwand das Saubermachen ist. Es verschwindet im Schrank, bis man es vierzehn Jahre später auf dem Flohmarkt verscherbelt. Ich beschloss, heute ihr zum Gedenken belgische Waffeln mit frischen Erdbeeren zu essen (ihr Lieblingsfrühstück). Ich karrte das teuerste Braun-Modell, das ich fand, zu Kasse zwölf.
    Ein schönes schwarzes Mädchen mit einer Lippenspalte oder einer ähnlichen, unglücklichen Entstellung bediente mich. Auf ihrem Namensschild stand Naomi. Sie mochte neunzehn sein oder auch zweiunddreißig.
    Ich könnte sie fragen, ob sie mit mir ausgehen will, dachte ich. Wahrscheinlich hat sie keinen Freund. Und weil ich in meinem Elend so ein oberflächlicher Idiot war, schmückte ich die ganze Sache gleich noch aus. Wenn sie einen Freund hatte, dann bestimmt einen mit Klumpfuß, der sie einfach so zum Spaß verprügelte. Sie hausten in einem Einzimmerapartment mit Kochplatte. Sie litt an Gicht. Den ganzen Tag an der Kasse zu stehen, war die reine Qual. Ich dagegen hatte ein Haus und Geld auf der Bank. Ein einziges Wochenende würde dem edlen Ritter Hastings genügen, um das kleine Schnuckelchen zu retten. Ich konnte sie bei mir einziehen lassen, ihr eine komplette neue Garderobe kaufen, ein schickes neues Cabrio, ich konnte die Lippenspalte operieren lassen, und dann, wenn für sie alles in Butter war, konnte sie anfangen, mich zu retten. Ach, Naomi, merkst du’s nicht? Wir sind geschaffen füreinander. Verdammt, Mädel, ich glaube, ich liebe dich.
    Bezeichnend für meinen zerrütteten Geisteszustand an jenem Tag war, dass ich den Verlust meiner »Ghosthaftigkeit« bereute. Wenn ich noch das Haar hätte, die Klamotten, die Tattoos, dann würde sie wahrscheinlich …
    Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich den Laden verlassen habe, und es dauerte beinahe fünfzehn Minuten, bis ich den Audi gefunden hatte. Auf dem Nachhauseweg legte ich einen Zwischenstopp in Dennis’s Tap Room ein, der vermutlich übelsten Bar in West Adams. Ich setzte mich in eine rote Kunstledernische und schlürfte elf Whisky Sour, während ich von Zeit zu Zeit das Waffeleisen streichelte. Der Barkeeper kam hinter seinem Tresen hervor und fragte, ob ich ein Hotdog wollte oder ›irgend ’ne anständige Unterlage‹. Ich verneinte dankend und bestellte noch zwei Whisky Sour, aber doppelte. Er tat mir den Gefallen, sagte aber, jetzt sei Schluss, danach müsse ich gehen. Als ich dann ins Freie trat, stellte ich fest, dass der Tag schon fast vorbei war.
    Zu Hause nahm ich den Weg hinten herum und blieb im Leerlauf in der Gasse stehen. Eine Weile starrte ich die Stelle neben dem Telefonmasten an, wo Stacey gelegen hatte, und wartete, dass ich zu schreien

Weitere Kostenlose Bücher