Ewig Böse
von Fotos speichert.
Ich ließ mich zurückfallen und lehnte mich gegen die Kartons, hielt den Rahmen in beiden Händen vor mir ausgestreckt, während die Fotos ineinander übergingen, ein Bild nach dem anderen, von ihr, und manchmal – wenn auch viel seltener – von uns beiden. Ich begriff, dass dies ein Geschenk für mich sein sollte. Ein letztes Weihnachtsgeschenk von Stacey, an dem Weihnachten, das sie nicht mehr erleben durfte. Ich hatte das Ding nicht eingeschaltet. Vielleicht war es ihre Absicht gewesen, dass die Bilder schon durchliefen, während ich ihre sorgfältig verpackte Schachtel aus Silber und Blau öffnete. Erstaunlicherweise hatte die Batterie noch genügend Saft. Ich saß wie betäubt da, während die ganze Chronologie unserer Beziehung vor mir ablief und wieder von vorne anfing, von jung nach alt, von der Grundschule über die Highschool-Jahre bis zum College und später, tagsüber, bei einem Nickerchen, Stacey hinter der Bar, wie sie in eine Weinflasche sang, als ob sie ein Mikro wäre, lachend, mich ansah, neben mir, mich ignorierend. Alles Fotos, die ich schon gesehen oder selbst aufgenommen hatte, dazu einige, die ich nicht kannte, vielleicht von ihren Eltern und Freunden ausgeborgt und für mich eingescannt. Es war, so wurde mir mit einem immer dicker werdenden Kloß in der Kehle bewusst, Staceys Lebensgeschichte. All ihre verschiedenen Stimmungen und unsere gemeinsame Vergangenheit liefen vor meinen Augen ab wie eine traurige Zusammenfassung des ersten Teils von etwas, das ein schönes Leben hätte werden sollen.
Stacey mit sechzehn, als die Zahnspange gerade rausgekommen war, mit hellen Flecken auf den Zähnen. So stolz!
Stacey mit siebzehn, blass und unsicher in ihrem blauen Ballkleid, Rüschenärmel, die aufgetürmten Haare so hübsch, so peinlich im Rückblick. Daneben ich, noch viel schlimmer.
Stacey beim Bowling im letzten Jahr Sportunterricht. Voll in die Rinne. Sie wirkte ehrlich betrübt deswegen.
Stacey in ihrer Uniform von Chili’s . Das blonde Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte ständig gerochen wie eine Fajita und nach nur zwei Wochen wieder aufgehört, aber trotzdem die zweiwöchige Kündigungsfrist eingehalten.
Stacey auf dem Mountainbike in der Nähe des Arkansas River. Sie trägt einen pinkfarbenen Helm und gleichfarbige Handschuhe und klammert sich verzweifelt an den Lenker. Kein großes Bewegungstalent, aber bei jedem Unsinn dabei.
Stacey vor Barney’s Beanerie , wo sie eine Bloody Mary schlürft und das verruchte Heavy-Metal-Handzeichen macht. Unsere erste Woche in Los Angeles. Ihre schneeblonden Haare, lang und glatt, reichen ihr beinahe bis zum Hintern. Gott, wie ich diese Haare liebte. Die schaumgeborene Venus.
Stacey mit Viggo Mortensen. Hatte ihn bei Starbucks erspäht und konnte einfach nicht anders. Sie sieht aus wie trunken vor Lust. Viggo scheint es peinlich zu sein. Sie liebte Herr der Ringe , die Bücher, die Filme. Nannte sie ihr perverses Vergnügen. Das mit dem pervers verstand ich nie.
Stacey beim Tünchen des Ballsaals, den Pinsel hoch über den Kopf gestreckt, sie ist zu klein, um auch nur halb bis zur Decke zu kommen. Der Traum von einem neuen Zuhause. Diese endlose Energie beim Renovieren. Wo ist sie hingekommen? Ins Haus, oder einfach verpufft?
Stacey in einem aufgeplusterten Parka mit Wollmütze, wie sie auf eine Tasse Kaffee pustet, irgendwo in der Kälte, Berge im Hintergrund, vielleicht Colorado, ein Ausflug, an den ich mich nicht erinnere. Wahrscheinlich war ich da beruflich für Ghost unterwegs. Sie scheint zu frieren, hat aufgesprungene Finger.
Stacey und ihre Freundin Heather Keinzle aus Redondo Beach, Schwestern in der Pediküre. Glücklich. Hat sie ganz schön mitgenommen, als sie erfuhr, dass Heather wegziehen würde, wieder eine beste Freundin, die nicht hatte sein sollen.
Stacey auf der Couch mit einer Schale Frosted Flakes, mit Henry im Schoß, der den Löffel anbetet, als wäre er der liebe Gott persönlich. Das war der Anfang der Phase des Zuhausebleibens, als Stacey lieber den ganzen Tag mit ihrem Hund verbrachte, als unter Menschen zu gehen.
Stacey, die in ihr eigenes Handy starrt und sich selbst fotografiert, die perlweißen Zähne entblößt, darunter eine Textnachricht, die mich daran erinnert, mir die Zähne anständig zu putzen. Sie machte immer die Zahnarzttermine aus und kümmerte sich auch um ihre Einhaltung. Sie wollte, dass ich besser auf mich achtete. Ich hielt es für Nörgelei.
Stacey, wie sie
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