Ewig Böse
den Rücken, und während James seine Frau mit ihrem Hund vor sich hertrotten sah, zuversichtlich, eigensinnig und ohne große andere Sehnsüchte als nach einem Baby, dachte er zum ersten Mal: Das Mädchen ist nicht mehr da. Sie ist verschwunden, während ich auf Tournee war, und jetzt ist sie eine richtige Frau. Und das war gut so, der einzige echte Beweis dafür, dass er selbst zum Mann gereift war.
Der gepflasterte Weg in die Berge war breit genug für einen Golfwagen, aber sehr steil. Nach einem Kilometer ging er in einen sandigen, von Geröll oder Felsen durchsetzten Pfad über. James keuchte hinter Stacey und Henry her. Sie war durchtrainiert vom Frondienst in den Pilates- und Yoga-Gulags. Da dies schon sein zweites Jahr als Ghosts Double war, wurde James langsam schlaff durch Junk-Food und Catering-Büfetts, was ein Problem hätte sein können, wäre Ghost nicht selbst wie ein Hefekuchen aufgegangen. Der Künstler hatte eine Vorliebe für kleine braune Fläschchen mit Zauberpillen und nächtliche Snacks entwickelt.
In der ersten Zeit, als Ghost noch eine Figur wie ein Windhund hatte, hatte James sich vertraglich zu einer strikten Diät verpflichtet. Sein Gewicht und seine Figur durften die des ›Arbeitgebers/Künstlers‹ – hier war der Name eingefügt – um nicht mehr als dreieinhalb Kilo bzw. 8 Prozent des Gesamtgewichts des Künstlers und +/– 6 Prozent vom Body-Mass-Index überschreiten. Um jede Ausrede für eine Verletzung dieser Klausel auszuschließen, bekam James eine Mitgliedskarte für drei große, landesweite Ketten von Fitnesscentern, und wann immer der Konzerttross in einem Hotel eincheckte, wurden Wellnessbereich und Fitnessraum mit gebucht. Sie aßen biodynamische Snacks, und der Ernährungsberater schickte James per E-Mail Menüpläne für zu Hause, wo er jeden Morgen und jeden Abend 200 Sit-ups und Liegestütze machte. Mindestens einmal pro Woche, und in den zwei Wochen vor einem größeren Auftritt, wenn die Kameras dabei waren, täglich, wurde James in einen privaten Umkleideraum geführt, wo er inspiziert, vermessen, beleuchtet und betastet wurde, so ziemlich überall, außer am guten alten Familienschmuck, und selbst den ließ Janey, die matriarchalische Lesbe aus der Garderobe, nicht aus. Natürlich nur zum Spaß, so, wie man das Charmin-Klopapier im Laden drückt, um zu sehen, ob es wirklich so weich ist wie in der Werbung. Urin und Blut wurden für Tests auf Drogen, Enzyme und Gott weiß was abgenommen. Seine Haut musste er mit Biokosmetika traktieren. Körperpeeling war ein Muss.
James wagte es nicht, gegen diese Vorgaben zu verstoßen, jedenfalls nicht in den ersten zwei Jahren. Er brauchte den Job. Er wollte den Job. Aber gegen Ende wollte er nur noch aussteigen und ließ sich gehen. Sein Körper rebellierte und versuchte sich durchzusetzen, während er zu träge war, einfach alles hinzuschmeißen und sich eine neue Arbeit zu suchen. Als er hinter Stacey und Henry den Hügel hinaufkeuchte, sah er zum ersten Mal der Wahrheit ins Auge.
Aber selbst wenn James nicht außer Form gewesen wäre, hätte er Dem Gespräch an diesem Nachmittag nicht ausweichen können. Stacey hatte nur auf den richtigen Augenblick gewartet. James wusste nicht, dass es ihre letzte offene Diskussion sein sollte.
»Ich hoffe bloß, wir sehen keine Schlangen«, sagte er. »Pass auf, wo du hintrittst, Baby.«
Sie hatten das erste Plateau erreicht und drangen auf einem schmaleren Pfad, der vom Hauptweg abzweigte, tiefer ins Gebüsch ein. Der ausgetretene Weg war jetzt nur noch etwa dreißig Zentimeter breit und verlor sich immer wieder in ausgewaschenen Stellen. James wusste, dass es hier Kojoten und Berglöwen gab, die mit Henry kurzen Prozess machen konnten.
»Hier wimmelt es von Klapperschlangen!«, rief Stacey über die Schulter zurück. »Sind das da drüben nicht Gleitspuren?«
»Sehr uncool.«
Natürlich veräppelte sie ihn nur, aber jetzt bekam er das Bild nicht mehr aus dem Kopf und hielt überall Ausschau nach den ›Beinlosen‹. James hatte eine echte Schlangenphobie, und der war mit Logik nicht beizukommen. Ob in der Wildnis oder nur auf dem Bildschirm, sie erzeugten eine urtümliche Furcht in ihm, als ob der Teufel seinen Federkiel in sein Kleinhirn tauchte.
Nachdem sie weitere hundert Meter gegangen waren, ohne irgendwelche Menschies zu sehen (Staceys Ausdruck für nervige Mit-Wanderer), ließ sie Henry von der Leine, und der Hund rannte voraus, schnüffelte herum und pisste in die
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