Ewig Böse
Süßer«, sagte sie.
Ich verrenkte mir den Hals. Sie war … nein, sie war nicht. Sie hatte dieselben blonden Haare, aber die Gesichtsform war anders. Oval wie bei Stacey, ja, aber irgendwie ernster. Die Wangenknochen traten schärfer hervor, und sie hatte Sommersprossen. Annette natürlich. Annette stand neben meiner Schulter, unserem Publikum zugewandt.
Aber irgendetwas an ihr hatte sich verändert. Sie lächelte auf mich herunter und zwinkerte mir zu, und ich merkte, dass eines ihrer Augen jetzt blau war, das andere grün. Blau ist für Blondinen, grün für Rothaarige. Stimmt’s? Welches Auge hatte Stacey verloren? Das linke, dasselbe, auf dem ich später Astigmatismus bekam . Annette hatte mir mit dem linken Auge zugezwinkert, dem, das sich verändert hatte. Es war blau und kalt geworden, viel zu still.
Staceys Auge, das sie bei dem Unfall verloren hatte.
»Da ist er wieder. Hat seinen Schönheitsschlaf nachgeholt und ist bereit, alles zu gestehen.«
Detective Todd Bergen erhob sich von einem niedrigen Stuhl am Fußende des Betts. Er trug einen glatten, beinahe glänzenden grauen Anzug und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Die friseurgepflegten blonden Haare und die verspiegelte Sonnenbrille, die zwischen seinen Brustmuskeln baumelte, ließen ihn aussehen wie aus einer Annonce für Mentholzigaretten entsprungen. Es waren weder Ärzte noch Krankenschwestern anwesend.
»Was gestehen?«, fragte ich.
»Sich Extradosen Morphium zu erschwindeln.« Bergen grinste. »Der Doc sagt, Sie haben nur ein paar Prellungen am Rücken und Abschürfungen an den Knien. Man wird Sie vor der Entlassung noch psychologisch durchchecken. Sie befürchten ein posttraumatisches Belastungssyndrom, aber ich habe ihnen gesagt, dass Sie zäh sind. Können wir reden?«
»Sicher.«
Er sah Annette an. »Würden Sie uns kurz allein lassen, bitte?«
Annette strich mir beruhigend durchs Haar. »Ist dir das recht?«
Ich nickte.
»Möchtest du was zu essen?«
»M-hm. Einen Fettburger?«
Annette lächelte und ging hinaus.
Bergen schloss die Tür hinter ihr. Er zog seinen Stuhl herum und setzte sich so hin, dass ich höher saß als er, was mir seltsam vorkam. Ich hatte nicht die Energie, mir eine Geschichte auszudenken.
Er nickte gut gelaunt, bereit, mich zum Frühstück zu verspeisen. »Durch Annettes Aussage, die Ihrer Nachbarn und des Fahrers können wir uns ein ganz gutes Bild von dem machen, was außerhalb des Hauses geschehen ist. Würden Sie mir sagen, was sich drinnen abgespielt hat? Erinnern Sie sich daran?«
Ich holte tief Luft. »An das meiste. Ich wollte duschen, im oberen Badezimmer. Dann hörte ich jemanden schreien. Ich rannte in den Ballsaal. Da stand Lucy in den Kleidern meiner Frau, meine Pistole in der Hand. Sie verstummte, als …«
»Woher hatten Sie die Waffe?«, unterbrach mich Bergen.
Er ist ein guter Detektiv, dachte ich. Lüg ihm nichts vor. Er kommt dir in null Komma nichts auf die Schliche. Aber Hermes könnte angepisst sein, wenn du ihn verpfeifst, o ja. Welchen von beiden möchtest du lieber zum Feind? Das LAPD oder den Drogendealer von nebenan?
»Hermes hat sie mir gegeben.«
»Sie haben die Pistole von Herman Willocks gekauft, dem Fahrer?«
»Nein, er hat sie mir gegeben. Ich wollte bezahlen. Er wollte nichts dafür.«
»Wie, als Leihgabe? Auf Zeit?«
»Nein. Eher als Geschenk.«
»Warum?«
Ich zuckte die Achseln. »Wir sind Nachbarn. Ich habe ihm gelegentlich Konzertkarten besorgt.«
Bergen sah einen Moment lang echt angepisst aus. Machte es das vielleicht weniger illegal, die Tatsache, dass kein Geld die Hände gewechselt hatte? Ist es gegen das Gesetz, jemandem eine Waffe zu schenken? Vermutlich ja.
»Wozu brauchten Sie eine Waffe?«
Ich erzählte ihm von der Zeit um Staceys Todestag herum, als die Gegenstände nicht mehr am richtigen Ort zu liegen schienen und ich das Gefühl hatte, jemand wäre im Haus. Ich räumte ein, dass es vielleicht paranoid gewesen war oder ich einfach Panik vor dem Todestag bekommen hatte. Ich gestand, dass ich daran gedacht hatte, Selbstmord zu begehen, was mir erst richtig klar wurde, als ich es aussprach.
Bergen runzelte die Stirn und überprüfte seine Notizen. »Wann hat er Ihnen die Waffe gegeben?«
»Vor ein paar Wochen«, sagte ich. »Kurz vor Staceys Todestag.«
Bergen durchbohrte mich mit Blicken.
»Was ist denn?«
Er las von seinem Notizbuch ab. »Zitat: ›Er kam vor ungefähr anderthalb Jahren wegen einer Knarre zu mir, sagte, es wäre zu
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