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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
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bisschen. Zehn Minuten lief ich so dahin, bis ich merkte, dass ich mich schon wieder verlaufen hatte. Alles sah gleich aus, und ich konnte die Straße zu Annettes Haus einfach nicht finden. Mir fiel nicht einmal mehr der Name ein. Ich lief ziellos weiter.
    Was von meiner inneren Uhr noch übrig war, sagte mir, dass es vielleicht neun oder zehn Uhr abends sein musste. Dass die ganze Gegend schon lange vor Mitternacht wieder wie ausgestorben war, beunruhigte mich. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden. Die Häuser besaßen Augen aus schwarzen Fenstern, und ich dachte, dass nichts so traurig und unerreichbar abschreckend ist wie ein leeres Wohnzimmer hinter einem vorhanglosen Fenster.
    Wie viele waren überhaupt noch hier?, fragte ich mich. Wie viele hatten zu viel Angst, um nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren Löchern zu kriechen? Hatten sie Angst vor Rick? Oder überhaupt vor Menschen? Offenes Land hatte mir früher keine Angst gemacht. Ich war dort aufgewachsen. In der Stadt soll es gefährlicher sein, und wahrscheinlich stimmt das auch, statistisch gesehen. Aber wenn man in der Stadt zu schreien anfängt, hörte einen wenigstens irgendjemand. Vielleicht eilt er einem zu Hilfe, ruft die 911 oder ignoriert einen einfach – aber wenigstens wird man gehört. Wenn es hier draußen jemandem einfallen sollte, meine Seele aus dem Gefängnis ihres Körpers zu befreien, würden meine Schreie als Echos in den Canyons verhallen.
    Ich war fast zwanzig Minuten lang vor mich hin gegangen, als der unheimliche Verdacht, beobachtet zu werden, sich zur Gewissheit verdichtete. Ich blieb stehen und ließ den Blick schweifen. Ich konzentrierte mich auf die Räume zwischen den Häusern, die Winkel hinter den Büschen, unter verlassenen Autos. Ich sah niemanden, aber mein Genick versteifte sich, und ich bekam eine Gänsehaut an den Armen. Ich drehte mich um.
    Der Junge stand hinter mir. Etwa dreißig Meter weit entfernt, auf derselben Straßenseite, reglos. Er trug wieder das schwarze Sweatshirt mit der tief in die Stirn gezogenen Kapuze. Schwarze Hose, die Hände unsichtbar. Er kam mir sehr klein vor, und auch dünner als letzte Nacht. Ich starrte ihn eine Weile an und wartete ab. Er tat keinen Schritt, hob nicht einmal den Kopf.
    Ich wandte mich ab und ging weiter, als würde er mich nicht weiter interessieren. Ich versuchte, auf seine Schritte auf dem Asphalt zu lauschen, eine Art von Schlurfen vielleicht, hörte aber nur mich selbst. Ich wollte ihm unbedingt klarmachen, dass ich mich nicht wieder einschüchtern lassen würde. Ich zwang mich dazu, mich nicht umzusehen, aber es fiel mir schwer. Schließlich beschloss ich, bis hundert zu zählen und mich dann umzudrehen. Ich bewegte lautlos die Lippen. Etwa bei fünfundzwanzig reduzierte ich mein Ziel auf fünfzig. Eine leichte Brise kam auf. Ich putzte mir die Nase und ging weiter. Ich stieß mir die Zehe an einer Unebenheit im Bürgersteig und ging weiter.
    »Sechsunddreißig, siebenunddreißig …«, zählte ich unterdrückt. Bei vierzig wirbelte ich herum.
    Wieder stand der Junge regungslos hinter mir, aber diesmal erheblich näher. Er war keine fünfzehn Meter mehr entfernt, vielleicht sogar nur zehn. Ich hatte nicht gesehen, wie er stehen blieb. Er hielt den Kopf immer noch unter der Kapuze gesenkt, die einzige Andeutung eines Gesichts war sein Kinn, und das war schneeweiß. Seine Füße standen eng zusammen, als würde er auf einer Fahnenstange balancieren, und die Dinger, die unter seinen Hosenaufschlägen hervorragten, sahen aus wie zwei weiße Seifenstücke. Zwischen den Falten seines schwarzen Sweatshirts waren über der Brust Teile eines weißen Schriftzugs zu sehen. Ich erkannte ein S und in der Nähe der Schulter etwas wie ein L oder ein I. Aus irgendwelchen Gründen erschien es mir wichtig, zu wissen, was da draufstand.
    Entweder geht er schneller, während ich nicht hinsehe, oder er geht überhaupt nicht.
    Er hatte die Hände in die Bauchtasche gestopft, schien da etwas zu verbergen, und ich war sicher, dass er deswegen hier war, mir etwas zeigen wollte. Seine Fähigkeit, mich zu finden, wo immer ich mich aufhielt, ob drinnen oder draußen, war für mich im Moment zu kompliziert, und dass ich noch Ricks Knöchelwaffe bei mir hatte, tröstete mich wenig. Ich war so ziemlich am Ende meiner Weisheit.
    Lass ihn kommen. Soll er dir doch nachlaufen.
    Ich wandte mich ab und ging weiter. Er war jetzt nahe genug, dass ich ihn hätte hören müssen,

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